Das Geheimnis der Hebamme
gegenüber zu. Die Ritter rutschten beiseite, damit sie sich setzen konnte. Sie fühlte Dietrichs Augen auf sich gerichtet und senkte die Lider.
Das Interesse, mit dem er sie ansah, war diesmal nicht von Neugier bestimmt, das spürte sie deutlich. Würde er heute Nacht einen Preis von ihr einfordern dafür, dass er sie freigelassen hatte und bei Christians Befreiung mithalf?
Tatsächlich spielte Markgraf Dietrich mit dem Gedanken, Marthe für die Nacht zu sich zu bitten. Ein hübsches Ding,wie geschaffen für die Liebe, dachte er bei sich; eine junge Witwe, die offensichtlich nicht übermäßig um ihren Mann trauerte, sondern sich vor allem Sorgen um den Herrn ihres Dorfes machte. Was sie für ihn gewagt hatte, kündete von Mut und verborgener Leidenschaft. Er malte sich aus, wie sie sich unter seinen Händen bog und lustvoll stöhnte, während er ihren zarten Körper liebkoste.
Doch dann bemerkte er das Unbehagen, mit dem sie die Lider gesenkt hielt und sich auf ihrem Sitz wand, und schalt sich einen ehrlosen Narren. Sie war hellsichtig. Konnte sie vielleicht seine Gedanken erkennen?
Diese junge Frau hatte in den letzten Tagen die Hölle durchlitten und die größten Strapazen auf sich genommen, um Christian und der Markgräfin zu helfen. Sie war sichtlich am Ende ihrer Kräfte – und er hatte nichts anderes im Sinn, als sie in sein Bett zu bekommen!
Mit Bedauern verbannte er jeden Gedanken an die Nacht und schob ihr freundlich lächelnd die Platte mit dem gebratenen Fleisch hinüber. »Iss«, forderte er sie auf. »Du hast ein paar schwere Tage hinter dir.«
»Ihr seid sehr gütig, Herr«, dankte sie leise, ohne ihn anzublicken.
Doch noch bevor sie zugreifen konnte, fuhr ein so schrecklicher Schmerz durch ihren Körper, dass sie gequält aufschrie und zusammensackte. Nur die schnelle Reaktion des Ritters zu ihrer Linken verhinderte, dass sie zu Boden schlug.
Als Marthe wieder zu sich kam, blickte sie wie durch einen Nebel in das bekümmerte Gesicht von Elisabeth.
»Was ist passiert?«, ertönte gedämpft von der Seite eine befehlsgewohnte Männerstimme. Vorsichtig drehte sie den Kopfin diese Richtung und erkannte Markgraf Dietrich, der sie besorgt und mit einem Anflug von Schuldgefühl ansah.
Marthe fand in die Wirklichkeit zurück, fühlte noch einmal die Welle des Entsetzens durch ihren Körper rasen und versuchte, sich aufzurichten. »Christian«, flüsterte sie mit aufgerissenen Augen und sank zurück in die Kissen, auf die jemand sie gebettet hatte.
Elisabeth richtete sie vorsichtig auf und hielt ihr einen Becher an die Lippen. »Trink das, das wird dich stärken!«
Marthe schmeckte kühlen, starken Wein, wie sie noch nie welchen gekostet hatte. Einfache Leute tranken in der Regel nur dünnes Bier. Sie nahm ein paar kleine Schlucke, rieb sich die pochende Schläfe und blickte abwechselnd zu Elisabeth und Markgraf Dietrich.
»Mein Herr Christian … er litt furchtbare Schmerzen … und jetzt kann ich nichts mehr von ihm spüren …«
»Zur Hölle«, entfuhr es Dietrich, der sich sofort bei der Dame des Hauses entschuldigte.
Er verließ sich auf seine Menschenkenntnis, als er zu Elisabeth sagte: »Ich nehme an, Ihr seid über Ritter Christians Lage und das Vorhaben Eures Mannes im Bilde?«
Die junge Frau nickte. »Christian ist ein Freund unseres Hauses, seine Ehre über jeden Zweifel erhaben. Wir müssen ihn aus Randolfs Klauen befreien.«
»Gut«, gab Dietrich zurück. »Aber ich kann nicht so einfach in die Burg des mächtigsten Vasallen meines Bruders reiten und von ihm die Freilassung eines Geächteten fordern, der außerdem als tot gilt. Zumal, wie Dame Hedwig und unsere junge Heilerin hier sagen, er sicher Befehl gegeben hat, in einem solchen Fall Euren Freund sofort zu töten, bevor ihn jemand zu Gesicht bekommt. Und mein Bruder ist aus bekannten Gründen derzeit nicht ansprechbar, was diese Angelegenheit betrifft.«
Der Markgraf verzog für einen Moment das Gesicht.
Dann wandte er sich an Marthe. »Zeigen dir diese Traumbilder die Zukunft oder die Gegenwart?«
»Es ist, als ob ich seinen Schmerz miterlebte …«
»Dann ist Christian jetzt entweder tot oder bewusstlos«, schlussfolgerte Dietrich ohne Rücksicht auf die Reaktionen der beiden jungen Frauen. »Wahrscheinlich vertreibt sich dieser Randolf die Abende damit, ihn zu foltern. Wenn Euer Freund noch am Leben ist, lässt er ihn sicher über Nacht in Ruhe, damit er wieder zu sich kommt.«
Der Markgraf fasste seinen
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