Das Geheimnis der Hebamme
Handbrote«, rief ein dicker Mann und hielt einen Korb hoch, aus dem es köstlich duftete – ein willkommener Kontrast zu dem gewaltigen Gestank aus den Straßen. Aber Christian zeigte kein Interesse. Aus den Augenwinkeln sah Marthe noch, wie der Händler sich brüsk umdrehte und dem Nächsten seine Brote anbot.
Töpfer hantierten inmitten schön verzierter Krüge und Becher, auf der anderen Seite hatte ein Korbflechter seine Ware ausgebreitet. Ein Mädchen von sechs oder sieben Jahren zerrte eine Ziege hinter sich her, eine alte Frau trug vorsichtig einen Korb mit Eiern, rechts vor ihr lachten und spotteten ein paar Männer lauthals über einen auf dem Boden liegenden Alten, der vergeblich versuchte aufzustehen. Ein Bettler sprach sie in einer Sprache an, die Marthe nicht verstand, und bekam von Christian eine Münze. Zwei Bewaffnete pfiffen einem Mädchen hinterher, das mit gerafften Röcken davonhastete. Weiter vorne fluchte lauthals ein vornehm gekleideter Mann mit einer Kappe voller Pfauenfedern, über den jemand aus dem oberen Stockwerk einen Kübel Schmutzwasser ausgekippt hatte, wenn nicht noch Ärgeres.
Je höher sie auf dem steilen Weg den Berg hinaufgelangten, um so atemberaubender wurde der Anblick mit dem prächtig glitzernden Fluss zu ihren Füßen.
Über einen Holzbohlenweg, breit genug für drei Reiter nebeneinander, gelangten sie zum Wachturm.
»Wir haben eilige Nachricht für den Markgrafen«, meldete sich Christian beim Wachhabenden, der am Torhaus auf seine Lanze gestützt stand. Ohne seine Haltung zu ändern, ließ der sie passieren.
Der Burghof machte den Eindruck eines Heerlagers im Aufbruch. Überall standen, saßen und liefen Männer in Rüstung herum.
»Wenn du die Pferde versorgt hast, suche nach Raimund, Gero und Richard«, wies der Ritter Lukas an und winkte Marthe zu sich. »Wir gehen gleich in den Palas.«
Marthe löste schnell ihren zerzausten Zopf und glättete mit den Fingern das Haar. Ich werde hier wie eine Bettlerin aussehen, dachte sie mit traurigem Blick auf ihre nackten Füße und ihr ärmliches Kleid. Nachdem ihr Christian am Vortag gesagt hatte, dass sie ihn nach Meißen begleiten sollte, war sie kurz entschlossen mit diesem einzigen Kleid in das Flüsschen gegangen, um den Schmutz und angetrockneten Schlamm herauszuspülen. Nun war es zwar sauber, aber immer noch fadenscheinig, vielfach ausgebessert und am Saum zerrissen.
Doch das Gedränge und das laute Treiben auf dem Burggelände lenkten ihre Aufmerksamkeit schnell auf anderes.
Waschhaus, Backhaus, Milchküche, Schmiede … erriet sie die Bestimmung der einzelnen Gebäude innerhalb der Palisaden. Diese Burg war eine kleine Siedlung für sich und voll von Leuten, die mit lärmender Geschäftigkeit ihrer Arbeit nachgingen. Stallburschen führten Pferde umher, ein Schmied hämmerte auf ein Stück Eisen ein, das er mit geschicktem Griff gleichmäßig drehte, ein paar Schritte weiter feuerten zwei Ritter lachend ein paar Knappen an, die sich damit abmühten, Kettenhemden vom Rost zu befreien.
Christian ließ ihr keine Zeit, sich weiter umzusehen. Er ging mit langen Schritten voran, so dass sie Mühe hatte, ihm zu folgen und ihn in dem Gewimmel nicht zu verlieren.
Quer über den Burghof kämpfte sich ein braun gelockter Ritter zu Christian durch und umarmte ihn lachend. »Sei willkommen! Wenn du Siedler ins Land gebracht hast, dann bist du tatsächlich der Erste, der es geschafft hat in diesem Jahr.«
Christian erwiderte die Umarmung des Lockenschopfes. Marthe hatte den Ritter noch nie so gelöst und herzlich lachend gesehen.
»Raimund! Ich hab schon Lukas nach dir Ausschau halten lassen, aber du warst wieder mal schneller. Was ist das für ein Gewühl hier? Ziehen wir in den Kampf?«
Raimund schüttelte lachend den Kopf. »Erst bist du dran! Erzähle, wie ist es euch ergangen?«
»Vier Dutzend Leute habe ich hierher geführt. Wir hatten schlimme Verluste unterwegs, aber das ist etwas für ein Gespräch bei einem Krug Bier«, gab Christian Auskunft. »Was ist passiert in den letzten Wochen im Kampf gegen Herzog Heinrich?«
»Christian von Oldenburg hatte Bremen erobert. Die Stadtbewohner hatten ihn jubelnd begrüßt, ihr Hass auf den Braunschweiger muss gewaltige Ausmaße angenommen haben … Und kurz nach Ostern sollte der Löwe Haldensleben an Erzbischof Wichmann übergeben. Aber er dachte nicht daran, marschierte gen Bremen und eroberte es zurück. Er hat die Bremer furchtbar büßen lassen dafür, dass sie
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