Das Geheimnis der Hebamme
alles, das Marthe je besessen hatte. Sie tauchte noch einmal ins Wasser, spülte sich das Haar und stieg aus dem Zuber.
Zärtlich strich sie über den Stoff des neuen Kleides und zog es dann an. Sie kam sich wunderschön vor.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte sie Susanne, nachdem sie ihr Haar gekämmt hatte.
»Ich werde der Herrin melden, dass du bereit bist. Komm mit.«
Susanne führte sie über eine Treppe zur Kemenate und klopfte an. »Wünscht Ihr das Mädchen jetzt zu sprechen, das mit Ritter Christian gekommen ist?«
»Schick sie herein.«
Susanne schob Marthe in die Kammer.
»Lasst uns allein!« Mit einer Handbewegung entließ Hedwig die Magd und die vornehm gekleideten Frauen, die mit ihr im Raum gewesen waren. Sie trug immer noch das schöne rote Kleid und saß vor einem kleinen Tisch, auf dem mehrere Pergamente ausgebreitet waren.
Eine Frau, die lesen kann, staunte Marthe.
»Tritt näher und erzähl mir, woher deine Ahnung kommt und woher du schon so viel Kenntnis in der Heilkunde hast.«
Marthe setzte sich auf Hedwigs Wink vorsichtig auf eines der Kissen, die auf der mit schönen Schnitzereien verzierten Bank lagen, und begann leise zu berichten. Sie hatte beschlossen, nichts wegzulassen – weder die Verfolgung durch Wulfhart noch die merkwürdigen Erlebnisse während der Reise. Hedwig war klug. Sie würde sofort merken, wenn ihr Marthe etwas verheimlichte.
Die Markgräfin betrachtete sie aufmerksam, stellte dann und wann eine Zwischenfrage, aber verriet durch nichts, was sie dachte.
Schließlich sagte sie: »Gehen wir zu Dietrich.«
Aus der Kinderstube drang schon von weitem Gebrüll, in das sich halbherzige Ermahnungen einer Frauenstimme mischten.
»Ich bin der Erstgeborene!«, schrie lauthals ein Sieben- oder Achtjähriger, der mit einem Holzschwert herumfuchtelte, als sie das Zimmer betraten. »Ich werde über das Land herrschen! Und den Schwächling hier sperrt zu den Mönchen, der taugt doch zu nichts.«
»Aber junger Herr, solche Reden ziemen sich nicht«, wandte die Kinderfrau zaghaft ein.
»Pah!« Der Junge hatte nicht bemerkt, dass seine Mutter ins Zimmer gekommen war, und trat verächtlich mit dem Fuß nach der Bettstatt, wo ein blasses Kind mit verbundenen Unterarmen lag.
Hedwig riss ihn am Arm zurück. »Albrecht, lass deinen Bruder in Ruhe. Sofort! Ich möchte solche Worte nicht wieder hören.« Sie nahm dem Jungen das Holzschwert ab und gab es der Kinderfrau.
»Pater Gregorius soll mit ihm über Edelmut gegenüber Schwachen und Kranken sprechen.«
Mit verstockter Miene ließ sich der Junge hinausführen.
»Er ist der Erbe. Aber ritterliches Verhalten muss er erst noch lernen«, meinte Hedwig. Sie führte Marthe an das Lager des anderen Kindes. »Dietrich, mein Zweitgeborener. Er ist gerade fünf geworden.«
Marthe betrachtete aufmerksam das schmalgesichtige Kind, das rasselnd atmete.
»Das ist Marthe, mein Lieber«, sagte Hedwig mit sanfter Stimme. »Sie hat eine weite Reise hinter sich, bei der sie viele Abenteuer erlebt hat.«
Marthe sah einen Anflug von Neugier in dem bleichen, klug wirkenden Kindergesicht.
»Wie ein Ritter? Eine Frau kann doch keine Abenteuer bestehen.« Die Stimme des kleinen Kranken klang schwach und müde.
Hedwig sah ihren Sohn aufmunternd an. »Nicht wie ein Ritter und trotzdem aufregend. Später wird sie dir davon erzählen, wenn du möchtest. Aber jetzt sei lieb und beantworte ihre Fragen. Vielleicht kann sie deine Krankheit heilen.«
Dietrich bekam runde Augen. »Bist du eine Fee?«
Aber dann trat schnell wieder ein resignierter Ausdruck in sein Gesicht. »Nein. Eine Fee würde keine Bauernkleider tragen, sondern ein wunderschönes weißes Gewand.«
Marthe lächelte und setzte sich auf den Bettrand. »Ihr mögt Geschichten von Feen, die Wünsche erfüllen?«
Dietrich nickte, wobei ihn ein tief sitzender Husten quälte.
»Was würdet Ihr Euch von einer Fee wünschen?«
»Ich möchte ein starker Ritter werden.«
»Und Ihr habt Angst, dass daraus nichts wird, weil Ihr zu oft krank seid?«
Dietrich drehte den Kopf zu Seite und nickte stumm. »Das sagen doch alle«, brachte er schließlich heraus.
Marthe fühlte seine fiebrige Stirn und griff nach seinem Arm, um den Puls zu fühlen. Grimmig betrachtete sie die Verbände.
»Hat Euch der Medicus zur Ader gelassen?«
Dietrich nickte.
»Macht er das oft?«
Wieder ein Nicken.
»Es tut weh und danach fühlt Ihr Euch noch schwächer?«
Ein erneutes Nicken.
Dieser Stümper
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