Das Geheimnis der Heiligen Stadt
wenigstens etwas näher. Aber wir werden sentimental, hier am Feuer. Wir brauchen etwas Zerstreuung. Komm, lies den Brief deines Vaters weiter.«
Geoffrey richtete seine Gedanken wieder auf das Zuhause, das er seit Jahren nicht gesehen hatte. Mühsam konzentrierte er sich auf den unzusammenhängenden Brief seines Vaters: »Er hat drei Waliser gehängt, die er des Schafdiebstahls verdächtigte. Gott steh uns bei, Hugo! Der Mann ist ein Idiot! Ich bezweifle sehr, dass er die wahren Schuldigen gefasst hat, und wahrscheinlich wird er mit dieser unbesonnenen Tat nur die Wut ihrer Familien auf sich ziehen.«
»Und was hättest du getan?«, fragte Hugo und wärmte seine Hände am Feuer, obwohl der Raum nicht kalt war.
»Ich hätte versucht, mit den Dörfern zu verhandeln, die ich des Diebstahls verdächtigte«, antwortete Geoffrey. »Oder ich hätte während der kritischen Zeiten die Schafe besser bewacht, um die Diebstähle von vorneherein zu verhindern.«
Spöttisch schnaubte Hugo. »Dein Vater hatte Recht, als er dich von seinen Herden fortschickte. Du bist zu weich für einen Grundbesitzer!«
»Und jetzt kommen wir zum wahren Anlass dieses Briefes«, meinte Geoffrey und ignorierte Hugo, während er weiterlas. »Er merkt an, dass Reichtümer mir bekanntlich gleichgültig sind. Doch er bittet mich, daran zu denken, dass Burg Goodrich dringend Steinmauern benötigt und dass es im Nachbarort einen guten Schafbock gibt, den er gerne erwerben würde.«
Hugo lachte leise, während Geoffrey den Brief zerknüllte und ins Feuer warf. Das Pergament verbrannte zischend und schickte eine Funkenfontäne den Kamin hinauf. Geoffrey beugte sich vor, um nach dem Brief zu stochern, während Hugo ihre Becher mit dem sauren Wein auffüllte, den Geoffrey aus den Kellern der Zitadelle erschnorrt hatte. Hugo streckte seinen langen, anmutigen Körper auf dem harten Lager aus und nippte vorsichtig an dem Wein.
»Was für ein Teufelszeug!«, rief er aus und zuckte bei dem sauren Geschmack zusammen. »Hast du nichts Besseres?« Hugo musterte seinen Freund verärgert und stellte den Becher auf den FuÃboden. Interessiert trottete Geoffreys Hund heran, aber nach kurzem Schnüffeln lief er angewidert davon. Hugo beobachtete ihn, sein blondes Haar rutschte locker über eines der hellblauen Augen.
»Was hast du eigentlich mit dieser Frau gemacht, die du heute Nachmittag festgenommen hast? Du warst ihr gegenüber gar nicht freundlich!«
Geoffrey zuckte die Achseln und schürte weiterhin das Feuer. »Für eine weitere Plauderei mit mir war sie wohl zu erschrocken über Courrancesâ blutrünstiges Vorgehen. Ich übergab sie Gottfrieds Leuten. Doch der Patriarch wollte sie ebenfalls befragen, denn scheinbar wurden vor drei Wochen zwei Mönche ermordet, zur gleichen Zeit wie Guido von Rimini. Der Patriarch glaubt wohl, es gäbe eine Verbindung zwischen den Todesfällen. Da Gottfried derzeit in Jaffa weilt, wurde Melisende Mikelos zum Palast des Patriarchen geschafft. Sobald der Vogt zurückkehrt, soll sie wieder hergebracht werden.«
Vogt des Heiligen Grabes, so lautete der beeindruckende Titel, den sich Gottfried von Bouillon, Herzog von Niederlothringen, gegeben hatte. Der Anführer einer Kreuzritterarmee, die Frankreich verlassen hatte, um Jerusalem zurückzugewinnen, herrschte nun über die Stadt. Auf der anderen Seite galt der Patriarch, ein ehrgeiziger Italiener namens Daimbert, als Oberhaupt der katholischen Kirche im Heiligen Land. Diese beiden Männer und ihre Anhänger führten einen andauernden Kleinkrieg um die Macht. Ritter wie Geoffrey und Hugo wurden häufig in diese Streitereien hineingezogen. Tankred, Geoffreys Herr, und Bohemund, der Lehnsherr von Hugo, waren mit dem Patriarchen verbündet â weshalb der Vogt Ritter wie Geoffrey und Hugo, die in seiner Zitadelle lebten, mit Argwohn betrachtete.
»Warum hast du diese Frau überhaupt festgenommen?«, wollte Hugo wissen und unterbrach Geoffreys Gedanken, als er nun ebenfalls im Feuer herumstocherte. »Die Mönche aus dem Felsendom, die die Leiche von Guido von Rimini fanden, wurden nicht festgenommen.«
»Ich hatte den Eindruck, dass sie nicht die Wahrheit sprach«, sagte Geoffrey mit einem Achselzucken. »Und der arme John lag tot auf ihrem FuÃboden. Hättest du gewollt, dass sein Mörder
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