Das Geheimnis der Highlands
planmäßig auf die Schatten der stattlichen Eichen, um irgendwelche ungewöhnlichen Bewegungen zu entdecken. Sie holte tief Luft und gab sich selbst den Befehl, zu entspannen. Die freilaufenden Wachhunde waren ruhig – alles war in Ordnung, versicherte sie sich selbst.
Ohne ersichtlichen Grund war sie äußerst angespannt, als sie den Code in die Alarmanlage eingab, um die Bewegungsmelder zu aktivieren, die an strategischen Punkten auf dem ein Hektar großen Grundstück installiert waren. JedeBewegung eines Körpers von über hundert Pfund Gewicht und einer Größe von über sechzig Zentimetern würde die Detektoren ansprechen lassen, auch wenn der schrille Alarm weder die Polizei noch sonstwelche Gesetzeshüter herbeirufen würde.
Adrienne würde eher nach ihrer Waffe als nach dem Telefon greifen. Sie würde eher den Teufel rufen, bevor ihr die Polizei in den Sinn käme. Obwohl sechs Monate vergangen waren, hatte Adrienne noch immer das Gefühl, nicht genug Entfernung zwischen sich und New Orleans legen zu können, nicht einmal, wenn sie einen oder zwei Ozeane überquerte, was ihr ohnehin nicht möglich war – der Prozentsatz von Flüchtlingen, die bei dem Versuch, das Land zu verlassen, gefaßt wurden, war erschreckend hoch.
Bin ich das wirklich? wunderte sie sich selbst. Es machte sie immer noch staunen, selbst nach all den Monaten. Wie konnte sie – Adrienne de Simone – auf der Flucht sein? Sie war immer eine ehrliche, gesetzestreue Bürgerin gewesen. Alles, was sie sich je vom Leben erhofft hatte, war ein Heim und ein Ort, wo sie hingehörte; jemanden zu lieben und jemanden, der sie liebte; eines Tages Kinder – Kinder, die sie niemals einem Waisenhaus überlassen würde. All das hatte sie in Eberhard Darrow Garrett gefunden, dem Liebling der feinen Gesellschaft von New Orleans. So dachte sie jedenfalls.
Adrienne schnaubte, als sie ein letztes Mal ihren prüfenden Blick über das Grundstück wandern ließ und schließlich die Vorhänge vor die Türen zog. Noch vor wenigen Jahren war die Welt ihr so ganz anders erschienen; wunderbar, vielversprechend, erregend und voll unbegrenzter Möglichkeiten.
Bewaffnet allein mit ihrem unbeugsamen Charakter und dreihundert Dollar in bar, hatte Adrienne Doe sich einenneuen Nachnamen zugelegt und war an dem Tag, an dem sie achtzehn wurde, dem Waisenhaus entflohen. Begeistert hatte sie festgestellt, daß sie Studenten-Darlehen in Anspruch nehmen konnte, obwohl sie als Waise keinerlei Sicherheiten zu bieten hatte. Sie arbeitete als Kellnerin, schrieb sich ins College ein und war fest entschlossen, etwas aus sich zu machen. Sie war sich nicht sicher, was genau es sein würde, aber sie hatte immer das Gefühl, daß an der nächsten Ecke etwas Besonderes auf sie wartete.
Sie war gerade zwanzig, im zweiten Jahr an der Universität, als das Besondere passierte. Als sie im Blind Lemon arbeitete, einem eleganten Restaurant mit Bar, hatte Adrienne die Augen, das Herz und den Verlobungsring des auf geheimnisvolle Weise gutaussehenden, reichen Eberhard Darrow Garrett erobert, des gefragtesten Junggesellen weit und breit. Es war wie im Märchen; monatelang schwebte sie wie auf Wolken.
Als die Wolken begannen, sich unter ihren Füßen zu verflüchtigen, hatte sie sich geweigert, genauer hinzusehen und zu erkennen, daß ihr Märchenprinz vielleicht ein Prinz von dunklen Machenschaften war.
Adrienne preßte die Augen zu und wünschte sich, einige ihrer bösen Erinnerungen fortblinzeln zu können. Wie leichtgläubig war sie doch gewesen! Wie viele Entschuldigungen hatte sie gefunden – für ihn, für sich selbst –, bis sie letztendlich hatte untertauchen müssen.
Ein leises Miauen holte sie in die Gegenwart zurück, und sie erblickte das einzig Gute, das die ganze Sache ihr eingebracht hatte: ihr Kätzchen Moonshadow, ein frühreifer Streuner, den sie in der Nähe einer Tankstelle auf ihrem Weg Richtung Norden aufgelesen hatte. Moonie rieb sich an ihren Knöcheln und schnurrte behaglich. Adrienne griff sich das kleine Wesen und kuschelte liebevoll mit ihm.Bedingungslose Liebe, das war es, was Moonie ihr schenkte. Liebe ohne Vorbehalt und ohne Ausflüchte – reines Gefühl ohne Ungewißheiten.
Adrienne kraulte leise summend Moonies Ohren und hielt abrupt inne, als ein schwaches Kratzgeräusch ihre Aufmerksamkeit wiederum auf die Fenster zog.
Vollkommen reglos preßte sie Moonie an sich und lauschte mit angehaltenem Atem.
Aber da war nur Stille.
Ein Zweig mußte
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