Das Geheimnis der Highlands
über das Dach gestrichen sein, entschied sie. Aber, hatte sie denn nicht alle Bäume zurückgeschnitten, als sie eingezogen war? Adrienne seufzte, schüttelte den Kopf und befahl ihren Muskeln, sich zu entspannen. Sie hatte es fast geschafft, als über ihrem Kopf eine Bodendiele knarrte. Augenblicklich war die Spannung wieder da. Sie setzte Moonie in einen Sessel und beobachtete angespannt die Decke, als sich das knarrende Geräusch wiederholte.
Vielleicht war es nur das Gebälk des Hauses.
Sie mußte endlich ihre Ängste in den Griff bekommen.
Wieviel Zeit mußte noch vergehen, bis sie nicht mehr befürchten mußte, sich umzudrehen und Eberhard dort stehen zu sehen, mit seinem leicht spöttischen Lächeln und einem rauchenden Revolver?
Eberhard war tot. Sie war in Sicherheit, das wußte sie.
Also, warum fühlte sie sich so verdammt verwundbar? Seit ein paar Tagen hatte sie das beklemmende Gefühl, daß jemand hinter ihr herspionierte. So sehr sie auch versuchte, sich selbst zu versichern, daß jeder, der ihr ans Leder wollte, entweder tot war oder nicht wußte, daß sie lebte, wurde sie trotzdem aufgezehrt von einem krankhaften Unbehagen. Ihre sämtlichen Instinkte warnten sie, daß etwas nicht stimmte – oder daß etwas Fürchterliches bevorstand. Aufgewachsen in der Stadt der Geister – im schwülen,abergläubischen, magischen New Orleans –, hatte Adrienne gelernt, auf ihre Instinkte zu hören. Sie hatten sie noch nie im Stich gelassen.
Selbst bei Eberhard hatten ihre Instinkte recht behalten. Von Anfang an hatte sie bei ihm ein ungutes Gefühl gehabt, aber sie hatte es auf ihre eigene Unsicherheit zurückgeführt. Eberhard war die beste Partie von New Orleans; logischerweise fühlte eine Frau sich bei solch einem Mann ein wenig unsicher.
Erst viel später verstand sie, daß sie so lange einsam gewesen war und sich so sehr nach diesem Märchen gesehnt hatte, daß sie versucht hatte, die Wirklichkeit zu zwingen, ihre Sehnsüchte zu erfüllen, statt umgekehrt. Sie hatte sich selbst so lange belogen, bis sie schließlich mit der Tatsache konfrontiert worden war, daß Eberhard nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Sie war so dumm gewesen.
Adrienne atmete tief die Frühlingsluft ein, die sanft durch das Fenster hinter ihr hereinwehte, dann fuhr sie zusammen und drehte sich abrupt um. Forschend betrachtete sie die wehenden Vorhänge. Hatte sie das Fenster nicht geschlossen? Sie war sich sicher. Sie hatte alle Fenster geschlossen, kurz bevor sie die Glastüren zugezogen hatte. Vorsichtig schob sich Adrienne zum Fenster, schloß es eilig und verriegelte es.
Es waren die Nerven, sonst nichts. Kein Gesicht starrte zum Fenster herein, die Hunde schlugen nicht an, keine Alarmsirene. Was hatten die ganzen Vorsichtsmaßnahmen für einen Sinn, wenn sie nicht entspannen konnte? Es konnte unmöglich jemand dort draußen sein. Adrienne zwang sich, vom Fenster wegzugehen. Als sie den Raum durchquerte, stieß sie mit dem Fuß gegen etwas Kleines, das über den ausgeblichenen Oushak-Teppich sauste und mit einem Klack an der Wand landete.
Adrienne sah hin und zuckte zusammen. Es war eine Figur aus Eberhards Schachspiel, das sie in der Nacht ihrer Flucht aus seinem Haus in New Orleans hatte mitgehen lassen. Sie hatte es völlig vergessen, seit sie hier eingezogen war. Sie hatte es in eine Kiste geworfen – in eine der Kisten, die in der Ecke gestapelt waren und die sie noch nicht ausgepackt hatte. Vielleicht hatte Moonie die Figuren herausgefischt, mutmaßte sie, denn es lagen einige davon verstreut auf dem Teppich.
Sie hob die Figur auf, gegen die sie getreten war, und rollte sie erregt zwischen den Fingern. Gefühlswellen durchströmten sie, eine See von Scham, Wut und Erniedrigung, und darüber hinaus die quälende Furcht, noch nicht in Sicherheit zu sein.
Ein Luftzug küßte ihren Nacken, und sie erstarrte. Sie umklammerte die Schachfigur so fest, daß sich die Krone der schwarzen Dame schmerzhaft in ihre Handfläche grub. Die Logik befahl, daß die Fenster hinter ihrem Rücken geschlossen waren – sie wußte es – dennoch: ihr Instinkt sagte etwas anderes.
Die rationale Adrienne wußte , daß sich niemand außer ihr und dem leise schnurrenden Kätzchen in der Bibliothek befand. Die irrationale Adrienne stand schwankend am Abgrund des Schreckens.
Nervös lachend schimpfte sie mit sich selbst, daß sie so schreckhaft war, und verfluchte dann Eberhard, der sie so weit getrieben hatte. Sie würde
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