Das Geheimnis der italienischen Braut
um die ganze Insel führte. Als Kind hatte er die Form der „Isola del Raverno“ mit einer Kaulquappe verglichen. Der Palazzo stand an der breitesten Stelle, während das lange, schmale Ende sich wie eine Landzunge in Richtung Festland hinzog. Als er diese Stelle erreichte, blieb er an der äußersten Spitze stehen und blickte hinüber auf das bewaldete Ufer.
Dreißig Kilometer westlich, jenseits der Hügel, lag Monta Correnti. Hier hatte er einmal auf Jackie gewartet, als sein Vater geschäftlich oder wegen einer Frau oder aus beiden Gründen in Rom gewesen war. Dass sie die Sommer gemeinsam verbrachten, war eine Illusion gewesen, denn sein Vater war nur sporadisch anwesend und überließ Romano die meiste Zeit sich selbst, natürlich umgeben von zahlreichen Hausangestellten.
Als junger Mensch hatte er diesen Zustand gehasst, doch später wurde ihm bewusst, was für eine wunderbare Zeit es gewesen war. Er hatte die Freiheiten genossen, nach der sich die meisten Teenager sehnten, ohne sie jemals zu bekommen. So war es kein Wunder, dass er in dem Ruf stand, ein Draufgänger zu sein.
Etwas Schlimmes oder Böses hatte er allerdings nie angestellt, sondern war nur abenteuerlustig und wagemutig gewesen. Sein Vater verwöhnte ihn nach Strich und Faden, um ihn für seine häufige Abwesenheit zu entschädigen und um ihm die Mutter zu ersetzen. Rückblickend war ihm klar, wie unreif er mit siebzehn gewesen war trotz des geradezu unverschämten Selbstbewusstseins, das er im Wesentlichen seinen breiten Schultern und dem Geld seines Vaters verdankte.
Vielleicht hätte ihn sein Vater strenger erziehen müssen. Es war allzu leicht für Romano gewesen, den verwöhnten Sohn zu spielen, sich in der Schule nicht anzustrengen und keinen Gedanken daran zu verschwenden, was er einmal werden wollte. Der Name und das Vermögen seines Vaters hatten ihm ein überaus behütetes und beschütztes Leben ermöglicht.
Er drehte sich um und blickte zum Palazzo, dessen hoher viereckiger Turm, der schön und lächerlich zugleich war, durch das Laub der Bäume hindurch zu erkennen war.
Die Beziehung mit Jackie Patterson war für ihn nicht nur eine Teenagerromanze gewesen, wie er sich einredete, weil es weniger quälend war. Sie war für ihn eine Herausforderung gewesen, die ihn verändert hatte. Obwohl sie nur einen Sommer lang zusammen gewesen waren, hatte das Zusammensein deutliche Spuren hinterlassen. Bis dahin war er damit zufrieden gewesen, gedankenlos in den Tag hineinzuleben. Alles war ihm mühelos zugefallen: Geld, Beliebtheit, die Aufmerksamkeit der Mädchen. Er hatte sich nie um etwas bemühen oder sich anstrengen müssen.
Jackie kennenzulernen war so etwas wie eine Offenbarung. Während sie im Restaurant ihrer Mutter bediente, hatte er in ihren Augen mehr Feuer, mehr Mut und Lebendigkeit bemerkt als in den schmachtenden Blicken seiner Verehrerinnen.
Obwohl sie zwei Jahre jünger war als er, hatte sie ihn beschämt, denn sie hatte voller Pläne und Träume gesteckt, die sie später wahrgemacht hatte.
Er lief zum Palazzo zurück.
Nach der Trennung hatte er sich ernsthaft gefragt, was er aus seinem Leben machen wollte. Er war privilegiert, denn ihm standen alle Möglichkeiten offen. Doch bisher hatte er keine einzige davon genutzt. Also beschloss er, sich zu ändern. Seine Lehrer waren verblüfft über seine guten Leistungen im letzten Jahr, und nach dem Abitur trat er in das Unternehmen seines Vaters ein.
Einige hielten ihm vor, er hätte den leichtesten Weg gewählt, dabei hätte er sich in Wahrheit lieber erst einmal in der Welt umgeschaut und woanders Erfahrungen gesammelt. Da seine Mutter gestorben war, als er sechs gewesen war, und er keine Geschwister hatte, hatte er das Pflichtgefühl über seine eigenen Wünsche gestellt und bei „Puccini Designs“ angefangen. Diese Entscheidung hatte er nie bereut.
Während er weiterrannte, merkte er plötzlich, dass er sich in dem Senkgarten befand, und ging langsam weiter. Auch dieser Ort war mit Erinnerungen an Jackie behaftet, die jetzt wieder wach wurden, nachdem sie jahrelang eher verschwommen gewesen waren.
Dachte sie auch noch manchmal an die wunderschöne und leider viel zu kurze Zeit zurück, die sie miteinander verbracht hatten? Hatte die Beziehung auch ihr Leben verändert? Aus irgendeinem Grund wollte er es auf einmal ganz genau wissen. Doch damit nicht genug, er wollte auch wissen, was für ein Mensch Jacqueline Patterson jetzt war und ob sich unter ihrem glatten,
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