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Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christel Mouchard
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Alter?«
    Daraufhin hatte Nina gesagt: »Raten Sie, wie alt ich bin?«, und dann hatte Miss Melly ihrerseits das junge Mädchen herausgefordert, ihr Alter zu erraten.
    Nun betrachtete Nina sie mit verschränkten Armen, das Kinn in die Hand gestützt, und sah aus, als würde sie angestrengt nachdenken.
    Plötzlich hob sie triumphierend den Finger.
    »Sie sind sechsundzwanzig Jahre alt.«
    Miss Melly riss die Augen auf.
    »Wie hast du das erraten?«
    Nina schaute vielsagend drein.
    »Geheimnis! Ich habe okkulte Kräfte!«
    »Du machst dich über mich lustig.«
    Die junge Frau überlegte ihrerseits einen Augenblick, ließ die vorangegangenen Ereignisse vorüberziehen – und begriff.
    »Du hast in meinem Reisekoffer gewühlt!«
    Nina setzte eine schuldbewusste Miene auf.
    »Nur aus Spaß, während Sie sich gewaschen haben.«
    »Du bist ein Giftzwerg!«, erwiderte Miss Melly empört.
    »Ich habe nichts gestohlen. Ich habe nur einen Blick hineingeworfen.«
    »Und dann hast du meinen Reisepass gesehen.«
    »Ja, er war in einer so hübschen Samthülle. Ich habe nicht mit Absicht nachgeschaut. Die Lasche war hochgeschlagen und …«
    Miss Melly schüttelte den Kopf.
    »Ich bemitleide deine Lehrer! Zum Glück werde ich dich nicht unterrichten müssen.« Sie unterbrach sich einen Augenblick und fuhr dann fort: »Wo fährst du denn überhaupt hin, so allein, mit fünfzehn Jahren?«
    Nina öffnete die Arme zum Horizont hin und hob eroberungslustig den Blick zum blauen, wolkenlosen Himmel. In diesem Moment wehte ihr der stürmische Wind den Hut vom Kopf. Während sie ihm nachrannte, um ihn zu erwischen, ehe er über Bord ging, antwortete sie ihrer Reisebegleitung: »Sehr weit weg! Ich fahre nach Indochina!«
    »Mein Gott, ich auch. Wohin denn genau?«
    »Nach Hué.«
    »Uff, ich gehe vorher von Bord, in Saigon.«
    »Warten dort Ihre Engelchen auf Sie?«
    »Ja. Das französische Gymnasium in Saigon hat in London einen Englischlehrer gesucht, und ich hatte immer schon Lust zu reisen. Also habe ich auf die Annonce geantwortet. Und du? Wirst du dort deine Eltern treffen?«
    Zum ersten Mal sah die junge Frau, wie sich Ninas kindliches Gesicht verdunkelte.
    »Meinen Vater«, korrigierte sie. »Meine Mutter ist vor einem Jahr gestorben.«
    »Oh, das tut mir leid. Warst du im Internat?«
    »Nein, ich habe bei meiner Tante gelebt.«
    Ninas Gesichtsausdruck veränderte sich ohne Übergang von Traurigkeit zu Heiterkeit. Sie machte eine furchtbare Grimasse und hob die Finger, um Krallen nachzuahmen.
    »Eine Hexe! Brrr. Ich hasse sie.« Sie brach in Gelächter aus. »Sie hat es mir übrigens gut heimgezahlt!«
    Ihre Grimasse veränderte sich; sie kniff jetzt die Lippen zusammen und hob mit gerunzelter Stirn das Kinn.
    »Wenn du so weitermachst, Antoinette, wirst du schon sehen
… Alle nennen mich Nina, außer meiner Tante natürlich.« Sie fuhr fort, sie zu imitieren, und drehte ruckartig den Hals:
»Wenn du so weitermachst, Antoinette, wirst du schon sehen … ich bringe dich ins Kinderheim! Kin-der-heim!«
    »Das klingt ganz nach einem Truthahn«, amüsierte sich Miss Melly und unterdrückte ein Lachen.
    »Genau! Sie hat den Kopf eines Truthahns. Und der Hals sieht aus, als würde er schlaff darunter baumeln. Ungefähr so.«
    Sie drehte ihren Hals noch einmal ruckartig und zog dabei mit dem Daumen und Zeigefinger an der Haut unter ihrem Kinn.
    »Gulugulu!«
    Jetzt lachte Miss Melly laut auf.
    »Eigentlich ist es schade, dass du nicht in meiner Klasse sein wirst.«
    »Bedauern Sie es nicht, ich habe eine Vier in Geschichte und Geografie. Und in Mathe und Französisch ist es noch schlimmer. Jetzt verstehen Sie auch, warum ich froh bin, wegzufahren.«
    »Wirst du in Hué nicht in die Schule gehen?«
    »Ich weiß nicht. Mein Vater hat mit mir nicht darüber gesprochen.
    Es wird an einem solchen Ort wohl keine Schule geben.«
    »Unsinn! Sie sind dort sogar dabei, eine neue weiterführende Schule für Mädchen zu bauen.«
    »Kennen Sie Hué? Sind Sie dort gewesen? Na so was!«
    Nina sah verblüfft aus; Miss Melly stieß einen verzweifelten Seufzer aus.
    »Nicht notwendig, dorthin zu gehen, um zu wissen, wo Hué liegt und was dort vor sich geht. Es werden auch Lehrer für die neue weiterführende Schule von Hué gesucht, doch die Stelle in Saigon ist besser bezahlt.«
    »Ich weiß nicht einmal, wo Indochina liegt.«
    »Hast du keinen Atlas bei dir zu Hause?«
    »Ich habe ihn gegen einen Comicband eingetauscht; meine Tante wollte mir keinen neuen

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