Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
Aber sag, wirst du mir helfen? Du wirst mich doch nicht verraten, oder?«
Tam riss die Augen weit auf. Darauf wäre sie nie gekommen.
»Natürlich nicht!«
Während sie Nina beim Waschen zusah, erklärte sie sich nachdenklich – tatsächlich entdeckte sie im selben Moment wie Nina die Gründe für ihre spontane Reaktion.
»Ich glaube … weißt du, ich möchte gerne, dass du hier bleibst. Ich möchte gern, dass du das Haus deines Vaters behältst. Und dann …«
»Und dann was?«
Tam begann plötzlich loszuprusten und hielt sich eine Hand vor den Mund.
»Du bist so riesig!«, gluckste sie. »Ein bisschen wie eine große rosa Stute!«
»Und du bist lächerlich schmal«, antwortete Nina vor Wut zitternd. »Ein bisschen wie eine hagere gelbe Katze.«
Sie verharrten eine Sekunde lang und ihre Blicke trafen sich. Tam war die Erste, die nachgab.
»Tut mir leid! Ich werde nicht wieder damit anfangen.«
Sie senkte den Kopf und murmelte wie ein Bekenntnis:
»Weißt du … ich werde dir die Wahrheit sagen.«
»Über was?«
»Darüber, was du getan hast. Einfach Miss Mellys Sachen zu nehmen, dich zu verstellen. Na ja, ich hätte an deiner Stelle dasselbe getan. Ich bin sogar fähig, noch Schlimmeres zu tun, wenn ich etwas unbedingt erreichen will.«
Ihre letzten Worte waren nur noch ein kaum hörbares Stammeln, aber nach einem kurzen Anflug von Groll spürte Nina in ihrem Herzen das unmittelbare Gefühl einer großen Zuneigung. Sie legte ihre beiden Hände auf Tams Schultern.
»Tam, du bist meine Freundin. Wenn du mir hilfst und ich dir helfe, kann es uns gelingen.«
»Was gelingen?«
»Dass ich hierbleibe. Dass ich meinen Lebensunterhalt als Fotografin verdienen kann, um nicht zu meiner Tante nach Frankreich zurückkehren zu müssen. Ich bin glücklich hier. Bei deinen Eltern und dir. Und du, du kannst es schaffen, Chemikerin zu werden. Wenn wir uns gegenseitig helfen. Einverstanden?«
»Ich sehe nicht, wie du mir helfen könntest, aber gut, einverstanden.«
Nina nahm ihre Hand und drückte sie, wie Jungen es tun, um etwas zu besiegeln.
»Tam und Nina. Auf Leben und Tod.«
Dann fuhr sie fort, ihren Körper energisch abzureiben.
»Auf Leben und Tod. Das klingt schön«, bemerkte Tam und verschränkte die Arme. »Aber was willst du jetzt tun? Es ist aussichtslos. Weder wird der Gouverneur dich empfangen, noch kommst du in den …«
Sie hatte ihren Satz noch nicht beendet, als an die Eingangstür der Villa Henriette geklopft wurde, gefolgt von einem Ruf auf Annamitisch.
»Das ist mein Vater«, sagte Tam. »Ich gehe.«
Nina wusch sich weiter, während Tam ging und Hungh aufmachte, der sich in eine Erklärung stürzte. Sie war dabei, ihre Haare durchzukämmen, und verzerrte das Gesicht, als Tam mit einem Briefumschlag in der Hand zurückkam.
»Hier, das ist für dich. Ein Soldat hat diesen Brief gebracht.«
»Ein Soldat? Warum ein Soldat?«
Die beiden Mädchen tauschten einen besorgten Blick und lasen gemeinsam die Karte, die Nina aus dem Briefumschlag herauszog. »Das gibt es ja nicht!«, riefen sie im Chor.
Die Einladung
Der Kaiser Duy Tan und ihre Majestät, die Königin Phuong, haben das Vergnügen, Sie zu bitten, das Fest des Ersten Morgens in ihrer Gesellschaft zu feiern …
Nina drehte sich zu Tam um, die die Karte über ihre Schulter hinweg las.
»Was soll das heißen?«
»Das bedeutet, dass Buddha mit dir ist! Das Fest des Ersten Morgens! Unglaublich, sie laden dich zum Têt ein!«, rief Tam.
»Buddha? Têt? Ich verstehe kein Wort!«
Ohne zu antworten, rannte Tam ins Schlafzimmer. Sie war gerade dabei, ihr
áo dài
anzuziehen, als draußen ein Explosionsgeräusch zu hören war. Nina fuhr zusammen, und Tam fing umso heftiger an zu lachen. Weitere Explosionen folgten in näheren Abständen.
»Es ist Krieg!«, schrie Nina und zog sich ebenfalls an.
»Aber nein«, lachte Tam.
Nina stemmte ihre Fäuste in die Hüften.
»Wenn du es mir nicht in drei Sekunden erklärst, reiße ich dir den Zopf ab!«, brummte sie.
Tam stürzte auf die Türschwelle und sah hinaus.
»Komm schnell und sieh dir das an!«, rief sie mit gespieltem Entsetzen und verließ das Haus.
So schnell es ihr Miss Mellys enge Stiefeletten erlaubten, rannte Nina Tam hinterher. Vor dem Tor des Landguts Teng blieb sie abrupt stehen.
Vor ihr stand ein riesiger unheimlicher Drache, dessen Körper mindestens so lang war wie zwei Omnibusse. Vorn hatte er ein klaffendes rotes Maul, gespickt mit scharfen weißen Zähnen. Unter
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