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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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besaß, ist in dem Schuppen
verbrannt, in dem die anderen Mägde und Knechte und ich schliefen. Ich habe nur
noch das, was ich auf der Haut trage. Ich habe nicht einmal mehr einen Platz,
zu dem ich gehöre.«
    »Kind, du hast ja noch mich.« Eine schwielige Hand legte sich
behutsam auf Berninas Schulter, nur ganz kurz. Bernina hatte längst bemerkt,
dass jede noch so flüchtige Berührung peinlich oder unangenehm für die
Krähenfrau war. Wohl das Ergebnis ihrer langen Jahre der Einsamkeit.
    Als sie dann ohne ein weiteres Wort den Raum verließen, fiel
Bernina auf, wie Cornix erneut die Bücher und die umgekippte Truhe mit einem
eigenartig veränderten Blick streifte, der nicht zu deuten war.
    Weiterhin schweigend gingen sie die Treppe hinab, anschließend aus
dem Haus. Sie sahen vor sich hin, jede mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt,
während sie den Petersthal-Hof hinter sich ließen.
    Bernina blickte einmal kurz zu den Ruinen. Ganz deutlich fühlte
sie es, dass es ein Abschied für immer war. Sie wusste nicht, woher diese
Gewissheit kam, aber sie fühlte sie sehr stark. Ein Teil ihres Lebens war
beendet, war mit den Menschen des Hofes gestorben. Vor ihr lag ein großes dunkles
Nichts.
    Sie durchquerten den Wald, über ihnen die Kronen der Bäume, die
Schatten warfen. Ihre Füße sanken bei jedem Schritt in den erdigen Boden.
    Bernina erinnerte sich an das, woran sie am Vorabend vor dem
Einschlafen gedacht hatte. Dass sie ihrem neuen Leben entgegentreten müsse.
    »Ich werde bald aufbrechen«, sagte sie in die Stille des Waldes
hinein, vielleicht sogar mehr zu sich selbst als zur Krähenfrau.
    »Aufbrechen? Wohin?«, kam sofort die Frage, in der Erstaunen zu
hören war.
    »Nun ja, hinaus in die Welt. Ich werde mir eine Anstellung als
Magd suchen. Im Dorf oder auf einem der anderen Höfe. Oder zur Not auch in
Ippenheim. Ich habe einiges gelernt und kann bestimmt überall eine nützliche
Hilfe sein.«
    »In Ippenheim«, wiederholte Cornix. Kopfschüttelnd und mit dieser
Strenge, die Bernina nun schon gut an ihr kannte. »Erst einmal musst du dich
vollständig erholen. Ruhe dich noch bei mir aus. Dann kann ich dich im Auge
behalten und dir helfen, falls es nötig sein sollte.«
    »Aber körperlich geht es mir doch schon recht gut.«
    »Wer weiß. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu
spaßen, ich kenne das. Es scheint einem bestens zu gehen, man macht ein paar
Schritte, und plötzlich fällt man ohnmächtig um.« Sie schnalzte mit der Zunge.
»Besser, du nimmst dir nicht allzu viel vor.«
    »Genau das muss ich aber: Ich muss mir ein neues Leben vornehmen«,
betonte Bernina.
    »Das läuft dir nicht weg. Jetzt gibt es erst mal was zu essen. Du
brauchst eine Stärkung.«
    Es rührte Bernina, wie diese eigenwillige Frau versuchte, sie in
ihrer Obhut zu behalten und ihr zu helfen. Beinahe schien es, als würde der
Krähenfrau der Gedanke überhaupt nicht gefallen, Bernina nicht mehr um sich zu
haben. Dabei hatte es immer geheißen, sie ertrage die Gesellschaft anderer
nicht und wünsche nur für sich zu sein.
    Inzwischen waren sie fast an der Hütte angekommen, die noch
versteckter lag als der Petersthal-Hof, ein winziges Refugium, fernab der Welt.
    Auf dem Hüttendach hatten sich Krähen niedergelassen. Etwas
Merkwürdiges lag in dem stillen, starren Bild, das sie abgaben, unter ihnen die
dunkle Hütte, dahinter der ebenso dunkle Wall aus Bäumen. Aufgereiht hockten
sie da, beinahe so, als hätten sie sich nach einer geheimen Absprache hier
versammelt.
    Unbewusst erschauerte Bernina. Die dunklen Vogelaugen ruhten auf
ihr, sie schien die Blicke spüren zu können wie Berührungen. Menschlich, dachte
Bernina verdutzt, sie betrachten uns, wie Menschen uns betrachten würden.
    »Sieh sie dir an.« Cornix hatte die Vögel ebenfalls bemerkt. Nur
dass sie bei ihr offensichtlich keine unangenehmen Gefühle auslösten. Im
Gegenteil, ein Lächeln schlich sich in ihre Züge. Sie blieb stehen. »Ich
befürchtete schon, meine Freunde wären verschwunden.«
    »Freunde?« Auch Bernina hielt inne. »Die Krähen?«
    »Sicher.« Ein festes Nicken. »Meine einzigen.« Das Lächeln wurde
noch ein wenig offener.
    Eben noch gedämpft, gewann Cornix’ Stimme auf einmal an
Lautstärke, sie rief etwas, Silben, Wortfetzen, die Bernina nicht verstand, die
ihr vorkamen wie aus einer anderen Welt. Im Nu hoben sich die Krähen in die
Lüfte, eine nach der anderen, erneut wie nach einer Absprache, flügelschlagend
drehten sie ein paar Kreise zwischen

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