Das Geheimnis der Mangrovenbucht
sagte er, als eine Gestalt im Garten erschienen war, die ihnen sehr eindrucksvoll entgegenschritt. Der Mann selbst war zwar keineswegs besonders auffallend, sondern eher unbedeutend, nicht groß, aber er hatte eine wunderschöne weiße Haarmähne, die ihn aussehen ließ wie ein Löwe. Er war zweifellos von seiner eigenen Wichtigkeit sehr überzeugt und stolzierte wohlgefällig auf sie zu, gefolgt von einem ältlichen Spaniel, dessen grenzenlose Bewunderung für seinen Herrn dessen majestätische Erscheinung noch unterstrich. Das war zumindest Paulines Meinung.
»Du liebe Güte, was für ein aufgeblasener Gockel!« murmelte sie, »aber dieses prachtvolle Haar. Die meisten Frauen würden dafür ihr Augenlicht opfern.«
»Sind Sie ruhig«, murmelte Anthony. »Lachen Sie nicht. David sagt, daß dieser Bursche sich sehr wichtig nimmt.«
»Den Eindruck macht er auch«, kommentierte Pauline und wurde von Anthonys bösem Blick etwas eingeschüchtert.
»Guten Morgen, guten Morgen, ihr Fremden. Wie schön doch heute die Sonne scheint, nicht wahr?«
Seine Stimme klang sehr geziert und stand in merkwürdigem Widerspruch zu seiner sonstigen imposanten Erscheinung. Pauline hatte den Eindruck, daß das Wetter sein ganz persönlicher Stolz war, als ob er der Sonne zu scheinen befohlen hatte. Doch Anthony erwiderte seine Bemerkungen mit gebührender Achtung. Er erkundigte sich, ob er sich mit Mr. Milward unterhielt. Dann nannte er seinen eigenen Namen.
Und meinen nicht, bemerkte Pauline. Glaubt dieser arme Irre denn, meine Anonymität wahren zu können? Mit einem Mord, der uns anhaftet. Und schon ist es aus mit meinem guten Ruf — aber was soll’s?
Sie stellte fest, daß Anthony keinerlei Bemerkung über sein Knie machte, sondern einfach sagte: »Ich suche ein Telefon und dachte, vielleicht könnten Sie mir helfen.«
Der Heiler warf einen strengen Blick von einem zum anderen und schien eine Frage auf den Lippen zu haben, doch dann erinnerte er sich seiner Würde und sagte nur: »Hier ist mein Haus; aber ich habe noch nie ein Telefon gebraucht.«
Aus dieser Bemerkung ging klar hervor, daß derartige, moderne Verständigungsmittel unter seiner Würde lagen. Milward fuhr fort: »Mrs. Morton wohnt hier in der Nähe, sie besitzt einen Apparat und ist immer bereit, einer verzweifelten Seele zu helfen. Hoffentlich kein Unfall?«
Er hatte offensichtlich zwischen seiner Allwissenheit und seiner Neugier einen kurzen Kampf auszufechten gehabt, den die Neugier gewonnen hatte. Anthony zögerte einen Augenblick, doch dann entschloß er sich zu der Meinung, daß es keinerlei Sinn hätte, ein Geheimnis aus der Sache zu machen. Dieser Mann würde bestimmt mit ihnen kommen und zweifellos alles mithören, was er am Telefon zur Polizei sagte. Daraufhin antwortete er kurz: »Hat nichts mit uns zu tun, aber es war ein Unfall. Ein tödlicher. Ich weiß nicht, wer der Kerl ist, aber auf jeden Fall liegt in dem alten Bootshaus eine Leiche.«
Milward wirkte keineswegs erschrocken. Seine Augen blickten triumphierend. »Im Bootsschuppen? Was habe ich gesagt! — >In der Nähe des Wassers.< Ich irre mich nie. Die Geister sprechen, und ich lausche. Die Leute hier wissen, daß ich unfehlbar bin. Sie haben gestern lange Zeit gesucht; und jetzt hat man Gary Holder gefunden.«
Gary Holder. Das muß der Name des vermißten Mannes sein. Pauline war verärgert, beinahe wütend. Dieser gefühllose, alte Mann kümmerte sich überhaupt nicht darum, daß der Mensch tot war. Alles, was ihn beschäftigte, war, daß er und seine verdammten Geister recht behalten hatten. Auch Anthony zeigte keinerlei Gefühlsregung und sagte ruhig: »Ja, wenn Sie sagten, daß er in der Nähe des Wassers sei, so hatten Sie zweifellos recht. Hochinteressant. Ihre Fähigkeiten beeindrucken mich ungemein.«
Das fand Pauline nun wirklich übertrieben. Sie ärgerte sich über Anthonys Unaufrichtigkeit und über den strahlenden Triumph auf dem Gesicht des anderen. Dieser Mann war verrückt, zumindest besessen. Doch Anthony sagte nur: »Wir müssen die Polizei rufen.«
Von seinem gewöhnlichen Zynismus entdeckte man keine Spur, und sämtliche Versuche, seinen Blick zu erhaschen, schlugen fehl. Sein Selbstbewußtsein überraschte sie und amüsierte sie gleichzeitig, obwohl sie sich sagte, daß dies nicht der Augenblick für frivoles Denken war. In diesem Augenblick erreichten sie das Gartentor des benachbarten Häuschens. Pauline erschrak, als sie auf jedem Zaunpfosten eine wie zu einer
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