Das Geheimnis der Maurin
machen konnte, desto besser. »Du würdest mir also einen Trupp Soldaten zur Verfügung stellen, wenn ich meine Familie als Geisel in der Stadt lasse?«
»
Gast
hört sich weit freundlicher an und trifft es auch besser!«
»Mein jüngster Sohn ist bei dem Überfall schwer verletzt worden. Wenn, dann könnte zunächst nur Zahra zurück nach Granada kommen …«
Gonzalo nickte.
»Und du garantierst mir, dass Zahra und den Kindern hier nichts geschieht und wir, sobald ich Chalida befreit habe, ungehindert nach Portugal reisen können?«
»Ich spreche gleich bei der Königin vor. Sie erwartet mich ohnehin. Und alles andere versteht sich von selbst.«
»Inwiefern?«
»Ich dachte, du kennst die Kapitulationsvereinbarungen? Raschid war doch bei den Verhandlungen dabei. Obwohl … stimmt, bei den letzten Gesprächen hat er gefehlt. Nun weiß ich auch, wieso.«
»Was wurde denn da besprochen?«
»Insgesamt hat sich die Situation der Mauren noch einmal verbessert. Eigentlich können sie ihr Leben unverändert fortführen: Sie behalten ihre Ländereien und ihr Vieh, ja, sogar ihre Pferde! Darüber hinaus hat Isabel eingewilligt, dass die Muslime weiterhin der Gerichtsbarkeit ihrer Qadis unterstehen. Und wer dennoch das Land verlassen und nach Afrika auswandern will, kann eines der Boote in Anspruch nehmen, welche die Krone ab dem ersten April zur Verfügung stellen wird: Zehn große Schiffe werden in unseren Häfen in Motril und Almuñécar bereitliegen, und für die Überfahrt zahlen müssen die Muslime auch nicht.«
»Das ist natürlich auch eine Art, die Mauren loszuwerden«, spottete Jaime.
Gonzalo zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Ich denke, es ist ein großzügiges Angebot, und wer will, kann innerhalb der nächsten fünf Jahre zurückkommen – was ebenso für euch gelten würde … Außerdem garantiert Isabel den Muslimen, dass sie ihren Glauben weiter frei ausüben dürfen, ja, sie ist sogar so weit gegangen, dass sie den Christen ausdrücklich untersagt, die Moscheen zu betreten, und wenn es doch jemand wagen sollte, drohen ihm hohe Strafen. Das Gleiche gilt für maurische Privathäuser: Christen dürfen muslimische Häuser nur mit der ausdrücklichen Erlaubnis des Besitzers betreten, und wenn ein Maure einen Christen in seinem Haus tötet, weil dieser unerlaubt eingedrungen ist, wird er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen.«
»Und womit soll der Maure den Christen töten? Mit der Suppenkelle?«, höhnte Jaime.
»Nein, natürlich mit seinem Schwert«, gab Gonzalo verärgert zurück. »Ja, du hörst richtig: Sogar ihre Waffen dürfen die Mauren behalten!«
Dieses Zugeständnis verwunderte Jaime in der Tat. »Fragt sich bloß, wie lange sich die Christen an diese Vereinbarungen halten werden.«
»Denk doch, was du willst«, unterbrach Gonzalo ihn ungehalten. »Außerdem darf ich dich daran erinnern, dass nicht ich etwas von dir will!«
»Ist ja schon gut. Natürlich bin ich dir dankbar, dass du dich bei Isabel für uns einsetzen willst!«
Jaime verließ zusammen mit seinem Bruder das Haus. Während Gonzalo auf direktem Weg zur Residenz der Könige ging, streifte Jaime durch die Gassen, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Die Vorfreude seiner Landsleute auf den Tag der Übergabe Granadas war nicht zu übersehen: Viele lachten und rissen Witze, andere wiesen ihre Burschen an, die Aufzäumungen und die Sättel der Pferde aufzuputzen. Als einige Christen breitbeinig auf Jaime zukamen, wich er, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden, zur Seite aus und trat in eine schlammige Pfütze. Er sagte nichts, dachte aber, wie viel angenehmer es doch war, in den maurischen Städten über gepflasterte und von Straßenkehrern rein gehaltene Straßen schreiten zu können, statt wie hier und in allen anderen christlichen Städten durch Schlamm, Dreck und stinkige Abfälle waten zu müssen. Mit einem Mal hatte er es eilig, hier herauszukommen, und eilte aufs Stadttor zu. Er brauchte Luft. Frische, reine Luft, wie es sie bei den Christen nicht gab – und sicher auch in den maurischen Städten nicht mehr lange geben würde, wenn die Christen dort erst einmal Einzug gehalten hatten.
Die Wehmut verließ Jaime auch vor der Stadt nicht. Der Zufall wollte es, dass er gerade an dem Tor aus der Stadt trat, von dem aus man direkt auf Granada und ihren ganzen Stolz blicken konnte: den Nasridenpalast. Im Licht der späten Nachmittagssonne erstrahlte die Alhambra in tiefem Rot über der Stadt, dem Rot, dem die mächtige
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