Das Geheimnis der Maurin
Burganlage ihren Namen verdankte:
qasr al-hamra,
die rote Festung, der »Rubin über der Stirn Granadas«. Auch wenn Jaime erst seit sechs Jahren bei den Mauren lebte – damals hatte er Zahra aus dem Kerker befreit – und er mit ihr kaum mehr als ein Jahr in Granada selbst verbracht hatte, hatte er in dieser Zeit den Palast, seine Patios und die herrlichen Parks doch gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass diese Worte nicht übertrieben waren. Nie in seinem Leben hatte er ein erhabeneres Bauwerk gesehen – ein Gedanke, der ihn dazu brachte, erneut aus ganzem Herzen zu bedauern, dass die Mauren die Christen nicht hatten zurückschlagen können. Jaime hatte bei ihnen jedoch nicht nur ihre prächtigen Bauwerke und die Sauberkeit ihrer Straßen, Häuser und Menschen schätzen gelernt, vor allem ihre Toleranz und ihre Offenheit Andersgläubigen gegenüber hatten ihn für sie eingenommen sowie ihr unbändiger Freiheitswille, ihre hochkultivierte Lebensart und die vertrauensvolle Zuversicht, mit der sie auch noch in den aussichtslosesten Situationen auf Allahs gnädige Hilfe vertrauten: »Inschallah …«
Religionsfreiheit und vieles mehr versprachen die Christen jetzt den Mauren … Der Gedanke an Gonzalos Worte entlockte Jaime ein Schnauben. Er hatte König Fernando lange genug gedient, um zu wissen, wie oft dieser aus taktischen Gründen Zugeständnisse machte, die er von Anfang an nicht einzuhalten gedachte. Fernando war listig wie ein Fuchs, und doch – es blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass seine Familie in Granada zumindest so lange sicher war, bis er Chalida und möglichst auch ihr Gold zurückgeholt hatte und sie das Land verlassen konnten.
Jaime setzte sich auf einen Findling und fragte sich, wie Zahra reagieren würde, wenn er ihr Gonzalos Vorschlag unterbreitete. Zwar hatte er keinen Zweifel daran, dass sie alles für ihre Tochter tun würde, aber nach Granada quasi als Geisel zurückkehren zu müssen, würde sie tief in ihrem Stolz verletzen. Er fragte sich erneut, ob sein Bruder nicht doch einen Hintergedanken dabei hatte, Zahra im Austausch für die Truppe bewaffneter Männer zu fordern. Im Grunde seines Herzens, davon war Jaime überzeugt, zweifelte sein Bruder nicht daran, dass er diese Männer einzig und allein dazu nutzen wollte, seine Tochter zu befreien. Was hätte Jaime auch für ein Motiv, einen Anschlag auf die Christen auszuführen? Der Krieg war verloren, und er stand seinen Landsleuten ohnehin nicht feindlich gegenüber. Nur um seine Familie zu schützen, war er auf die maurische Seite gewechselt. Ging es Gonzalo um Zahra? Glaubte er, dass er heute mehr Chancen bei ihr haben könnte als vor acht Jahren?
Jaime kratzte sich an der Stirn, und ohne dass er es wollte, war tief in ihm Zweifel gesät.
Als er eine gute Stunde später zu Gonzalos Haus zurückkehrte, traf er dort niemanden an. Und wieder hieß es warten. Erst als die Sonne hinter dem Wald verschwunden war, kam sein Bruder. Als er Jaime bemerkte, hob er dezent die Schriftrolle an, die er in seiner Rechten hielt. Erst in seinem Arbeitszimmer reichte Gonzalo ihm das Dokument. Jaime überflog die Zeilen und nickte erleichtert. »Du hast es tatsächlich geschafft: Zahra und mir wird nichts mehr vorgeworfen; niemand sucht uns …« Er sah zu seinem Bruder auf. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, noch, wie ich dir dafür danken kann!«
Gonzalo winkte ab. »Keine Sorge, das habe ich nicht für dich getan. Außerdem waren die Vorwürfe gegen Zahra ohnehin aus der Luft gegriffen, was ich Isabel natürlich so nicht sagen konnte, was sie aber sehr wohl selbst weiß. Von daher musste ich sie noch nicht einmal allzu sehr bedrängen, damit sie die Amnestie ausstellte.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Meinen Teil der Abmachung habe ich damit erfüllt. Den Trupp bewaffneter Männer stelle ich dir zur Verfügung, sobald … Zahra in der Stadt ist.«
Dieses Zögern in Gonzalos Stimme, bevor er Zahras Namen aussprach, ließ Jaime aufmerken.
»Was hast du?«, fragte Gonzalo.
Erst jetzt wurde Jaime bewusst, dass er die Augenbrauen zusammengezogen hatte. Er versuchte, sein ungutes Gefühl abzuschütteln, aber es gelang ihm nicht.
»Es …« Er räusperte sich. »Es ist dir schon klar, dass Zahra und ich, ich meine, auch wenn wir nicht verheiratet sind … Herrgott, was ich sagen will, ist einfach, dass ich hoffe, dir ist klar, dass Zahra zu mir gehört und sich daran nie etwas ändern
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