Das Geheimnis der Maurin
wird.«
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum du mir das jetzt sagst«, gab Gonzalo mit einem Erstaunen zurück, das auf Jaime echt wirkte. Eine ganz spezielle Wärme stieg ihm ins Gesicht, eine Verlegenheit, die er schon Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nicht mehr gespürt hatte. Er drückte die Schriftrolle an sich, senkte den Blick, nickte Gonzalo noch einmal kurz zu und verließ eiligen Schrittes das Haus.
III.
Umbrete
16 . Dezember 1491
B ehutsam legte Zahra ihrem kleinen Sohn einen frischen Kräuterverband auf die Wunde und strich ihm das schweißnasse Haar aus der heißen Stirn. Trotz allem spiegelte sich in ihrem Blick zum ersten Mal seit dem Unfall Hoffnung. Auch wenn Yayah weiter hohes Fieber hatte, war er eben doch ansprechbar gewesen und hatte sogar nach Wasser und etwas zum Essen verlangt. Zwar hatte er dann nur einen winzigen Bissen Brot und einen kleinen Schluck Wasser zu sich genommen, aber es war ein Anfang und machte ihr Mut.
Auch Tamu ging es trotz ihres hohen Alters und des beträchtlichen Blutverlusts von Tag zu Tag besser. Zwar war sie noch zu schwach, um aufzustehen, aber ihre Stimme donnerte dafür umso drakonischer von ihrem Krankenlager aus auf die Dienerinnen nieder und ließ keinen Zweifel daran, dass sie besser spurten, wenn sie nicht dafür büßen wollten, sobald sie wieder auf den Beinen war. In der Tat entging ihren Augen nichts, und selbst wenn in dem Schuppen, den Zubair für sie gefunden und zusammen mit den anderen unverletzten Männern halbwegs bewohnbar gemacht hatte, nur denkbar wenige hausfrauliche Pflichten zu erfüllen waren, fand Tamu doch ständig neue Aufgaben für die Dienerinnen. »Müßiggang bringt sie nur auf dumme Gedanken«, hatte sie Zahra hinter vorgehaltener Hand erklärt und dabei einen beredten Blick auf die Männer geworfen, die in der Tat recht oft zu den Frauen hinsahen – was auch kein Wunder war: Keine von ihnen war mehr verschleiert, da Zahra alle Hidschabs und Niqabs als Verbandsmaterial gebraucht hatte.
Zahra strich auch Abdarrahman über den Kopf. In den letzten Tagen war er Yayah noch nicht für eine Minute von der Seite gewichen. Nur wenn ihm vor Erschöpfung die Augen zugefallen waren, hatte er über kurze Zeitspannen geschlafen, und ansonsten hatte er seinem kleinen Bruder immer wieder mit unendlicher Geduld mit einem Tuch Wasser und Ziegenmilch einzuflößen versucht. Dabei hatte er selbst lediglich dann etwas gegessen, wenn Zahra ihm angedroht hatte, dass er sich ansonsten nicht weiter um Yayah kümmern dürfe. Erst eben, als Yayah diesen Bissen Brot gegessen hatte, hatte Abdarrahman sich auf seinem Lager zusammengerollt und war in tiefen Schlaf gefallen. Zahra war klar, dass Abdarrahman es sich niemals verziehen hätte, wenn Yayah gestorben wäre, und sie hoffte, die Jungen würden es nicht allzu schwernehmen, dass Yayahs Schulter nie mehr so werden würde wie früher. Sie selbst wollte froh und dankbar sein, wenn Yayahs Schulter nicht vollends steif blieb.
Raschid trat zu Zahra und zeigte ihr stolz die beiden Kaninchen, die er erlegt hatte. »So werden wir heute endlich wieder etwas Herzhafteres als Orangen und diese grausligen Wurzeln zu essen bekommen, die Tamu Maria dauernd sammeln und kochen lässt«, grinste er sie an.
»Die Wurzeln sind nahrhaft«, konterte die Alte bärbeißig, und Raschid solle froh sein, dass sie in dieser kargen Gegend und um diese Jahreszeit überhaupt etwas zu essen fänden. Sie hatten es nicht gewagt, zum nächsten Dorf zu gehen und dort Essen zu kaufen: Immerhin waren sie hier mitten im kastilischen Gebiet. Wer wusste schon, ob sich bis hierher herumgesprochen hatte, dass der Krieg zu Ende war? Einer weiteren kämpferischen Auseinandersetzung hätten sie niemals standhalten können. Auch wenn die verletzten Männer auf dem Wege der Besserung waren, waren doch nur die wenigsten von ihnen so weit wiederhergestellt, dass sie ein Schwert führen konnten. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihren Speiseplan auf das zu begrenzen, was der Wald, die Wiesen und die Felder hergaben. Ihr größter Schatz waren die Ziegen, die sie von Granada mitgeführt hatten und die sie mit Milch versorgten.
Auf einmal hörten sie den Hufschlag eines sich nähernden Pferdes. Raschid drückte Khadidscha die beiden erlegten Tiere in die Hand, zog sein Schwert und machte den anderen Männern Zeichen, ihm zu folgen. Vorsichtig öffnete er das Tor, das sie notdürftig hatten instand setzen können, spähte hinaus und versetzte
Weitere Kostenlose Bücher