Das Geheimnis der Maurin
ihn, die Miene unbewegt.
»Ich … ich kann mir schon denken, dass Ihr mich in Grund und Boden verdammt«, stotterte Aaron, »und ich erwarte keineswegs, dass Ihr Euch um mich kümmert!«
»Was … was hat Aaron?«, rief Chalida. Sie versuchte, sich zu ihnen umdrehen, aber ihre ausgekugelte Schulter ließ die Bewegung nicht zu. Stöhnend sank sie in ihre alte Position zurück.
Ohne ein Wort zu sagen, schob Zahra Aarons Hände beiseite, riss seine Pluderhose bis zum Oberschenkel hoch auf, nahm den Verband ab und stieß entsetzt die Luft aus. Die Wunde war nicht nur sehr tief, sondern auch aufgerissen und musste weit gründlicher versorgt werden, als sie dies hier tun konnte. Fragend sah sie Aaron an.
»Ich habe Eurem Mann alles gesagt«, stotterte der weiter. »Mir … mir ist egal, was Ihr denkt, das heißt, nicht egal, aber … aber ich bin nicht länger bereit, auf Chalida zu verzichten. Und wenn Ihr nicht wollt, dass sie die Meine wird, könnt Ihr mich gleich hier sterben lassen!«
Mit unbewegter Miene riss Zahra Stoffstreifen aus dem Hosenbein und legte einen Druckverband an. Alles Weitere konnte sie erst später tun, wenn sie in Sicherheit waren, und sie hielt Aaron für zäh genug, um so lange durchzuhalten. Dann ging sie zu ihrer Tochter und bat Jaime, ihr zu helfen.
»Ich weiß, dass ich dir jetzt weh tue, aber es geht nicht anders«, sagte sie. »Je mehr du dich entspannst, umso weniger wirst du leiden!«
Chalida nickte. Jaime bereitete einen Knebel vor und schob in ihr in den Mund. »Wir können nicht riskieren, dass du schreist!«
Anschließend hielt er ihre linke Seite fest, während Zahra Chalidas rechten Arm nahm, einen Fuß auf ihren Achselbereich stemmte, vorsichtig zog und zugleich eine behutsame Außenrotation des Arms durchführte. Der Knebel dämpfte Chalidas Schrei, sie bäumte sich auf – aber die Schulter war wieder in der Gelenkpfanne.
Während sie Chalidas Arm am Körper fixierte, weinte ihre Tochter stumm vor sich hin. Zahra tröstete sie mit keinem Wort und vermied überdies, ihr ins Gesicht zu sehen.
Schweigend setzte sie sich zu den anderen. Jaime sah sie lange an und brummte schließlich: »Ich nehme an, dir ist klar, dass du jetzt keine andere Wahl hast, als das Land umgehend zu verlassen?«
Zahra sah zu Boden.
»Zahra, sie werden dich suchen – und finden! Auch für Chalida ist es das Sicherste. Trotz all meiner Eingaben habe ich nichts für sie erreichen können, und für dich schon gar nicht. Abdarrahman will mit euch gehen.«
Als Jaime »mit euch« sagte, verspürte Zahra einen so scharfen, stechenden Schmerz im Herzen, dass ihr kurzzeitig die Luft wegblieb. Sie schloss die Augen und schalt sich dumm und einfältig: Hatte sie sich wirklich eingebildet, nur weil Jaime sie aus dem Kerker befreit hatte, hätte sich etwas zwischen ihnen verändert – und das sogar in dem Maße, dass Jaime mit ihr auswandern würde?
Sie versuchte zu nicken, was ihr erst im zweiten Anlauf gelang. »Und Yayah und Mohammed?«
»Ich dachte mir schon, dass du ohne sie nicht gehen würdest – allerdings weißt du, wie gefährlich die Überfahrt ist …«
»Ich nehme an, das heißt, ich soll mit dem Schiff nach Marokko zu Vaters Schwester?« Sie sah zwischen Jaime und ihrem Bruder hin und her. Beide hoben die Schulter, als sei ihnen das Thema unangenehm; mehr bedurfte es nicht. Ein eisiger Schauer überlief Zahra, gefolgt von einem zweiten, der so heftig war, dass sie sich schütteln musste.
Jaime nahm seinen Umhang ab und breitete ihn um ihre Schultern. Die kurze Berührung seiner Hand löste eine solche Sehnsucht in Zahra aus, dass ihr ganzes Inneres nur noch ein einziges Brennen war. Und dann spürte sie unter dem Umhang auch noch seine Wärme, roch seinen Duft … Sie schluckte und schloss die Augen.
»Ich …« Jaime räusperte sich. »Raschid und ich dachten, Fez sei nicht der schlechteste Ort für euch. Immerhin sind dort Zainab und Mahdi. Und wenn ihr das Schiff von Málaga aus nehmt, ist die Überfahrt recht kurz und die Gefahr eines Überfalls geringer.«
»Ihr habt also schon alles bis ins letzte Detail geplant«, erwiderte Zahra heiser und öffnete wieder die Augen. »Und was wird aus dir und Raschid und den anderen? Was, wenn euch einer der Büttel vor dem Kerker erkannt hat? Und du«, sie sah Jaime an, »bist du dir so sicher, dass der Wärter unten im Kerker dich nicht doch noch verrät?«
»Du hast doch gesehen, welche Angst er hatte – auch die
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