Das Geheimnis der Maurin
Jaime die Wächter am westlichen Stadttor bestochen hatte. Statt zur Farm, wo sie früher oder später von den Schergen der Inquisition gesucht werden würden, brachten sie sie und Chalida in den Unterstand, den sie im Krieg unter Boabdil in der Nähe der Farm gebaut und den sie jetzt auf die Schnelle wieder hergerichtet hatten. Anschließend ritt Raschid mit einem Diener zur Farm, um die Kinder, Maryam und deren Sohn Hamid zu holen, die ebenfalls mit ihnen das Land verlassen würden. Als Zahra ihre beiden Jüngsten in die Arme schloss, konnte sie sich zum ersten Mal richtig darüber freuen, dass Jaime sie aus dem Kerker gerettet hatte. Für einen kurzen Moment wagte sie sogar zu denken, dass es vielleicht nicht einmal die schlechteste Lösung war, endlich das Land zu verlassen. Immerhin würde sie ihre Kinder in Marokko offen in ihrem eigenen Glauben großziehen können, es würde keine Lügen mehr geben, kein Versteckspiel, keine Erniedrigung. Sie würde wieder sie selbst sein dürfen. Auch Abdarrahman, der seinen Sohn ebenfalls geholt hatte, erschien ihr zum ersten Mal seit langem ruhig und zuversichtlich. Einzig zu Chalida und Aaron konnte Zahra nicht hinsehen. Sosehr sie ihre Tochter einerseits verstand, so sehr schmerzte es sie, sie diesen Weg gehen zu sehen.
Um sie sicher nach Málaga zu bringen, von wo aus sie nach Tanger übersetzen würden – der Ort, von dem aus die Mauren einst die Iberische Halbinsel erobert hatten –, hatte Jaime einige ehemalige maurische Soldaten angeheuert. Als sie am nächsten Morgen zu ihnen stießen, hieß es Abschied nehmen – ein Abschied für immer. Als Raschid sich erhob, um sie noch ein letztes Mal in den Arm zu nehmen, kostete es Zahra ihre ganze Kraft, die Fassung zu wahren. Sie klammerte sich so fest an ihn, als wolle sie ihn nie mehr loslassen.
»Umarme auch Deborah und alle anderen von mir!«, bat sie ihn. »Und Tamu, oh Gott, meine Tamu!«
Beim Gedanken an ihre treue alte Dienerin, die wie eine zweite Mutter für sie gewesen war und der sie so vieles zu verdanken hatte, kamen ihr dann doch die Tränen. »Tamu …«, flüsterte sie noch einmal. Einen Moment lang glaubte sie, doch nicht weggehen zu können, aber als Yayah seine Hand in die ihre schob, wusste sie, dass sie keine Wahl hatte, und ließ ihren Bruder endlich los.
»Inschallah werden wir uns zumindest im nächsten Leben wiedersehen!«, sagte sie und strich Raschid ein letztes Mal liebevoll über die Wange.
»Das werden wir, g
huzailati,
meine kleine Gazelle, und möge der Allmächtige dich und die Deinen auf eurem Weg begleiten!«
Als Zahra zu ihm aufsah, merkte sie, dass ihm Tränen in die Augen stiegen, und beeilte sich, auf ihr Pferd zu steigen. Jaime reichte ihr Mohammed, wobei sich ihre Blicke kreuzten. Plötzlich schoss Hass in Zahra hoch. Warum, hätte sie selbst nicht zu sagen vermocht. Es ist doch nicht Jaime, der mich von hier vertreibt, rief sie sich zur Ordnung und begriff erst dann, dass dies gar nicht der Grund für ihren Hass war. Nein, wurde ihr klar, sie hasste ihn, weil er zurückbleiben würde und damit endgültig all ihre Hoffnungen zerstörte, Hoffnungen, die sie niemals zugegeben hätte.
Der Weg nach Málaga war hart und beschwerlich, zumal sie die Christen meiden mussten und ständig Angst vor Verfolgern hatten. In den Bergen von Málaga suchten sie in einem Bergdorf einen Qadi auf, der Chalida und Aaron trauen sollte. Aaron hatte vorgeschlagen, sich schon jetzt als Muslim auszugeben, damit sie in Marokko als verheiratetes Ehepaar einwandern konnten. Er war sich sicher, diese Rolle perfekt spielen zu können: Immerhin lebte er seit vielen Jahren unter Mauren und kannte ihre Sitten und Gebete ebenso gut wie die seinen.
Ihre Tochter mit Aaron vor dem Qadi stehen zu sehen schmerzte Zahra, und das noch mehr, als ihr Blick zu Jaime glitt und ihr vor Augen führte, wie eine mit so viel Illusionen und Hoffnungen begonnene und über lange Zeit gelebte Verbindung enden konnte. Hastig wandte sie sich wieder von ihm ab und konzentrierte sich lieber auf die Scham, dass die Hochzeit ihrer Tochter in so erbärmlich kleinem Rahmen, ohne Gäste und ohne Fest stattfinden musste.
Als der Qadi Aaron und Chalida die Heiratsurkunde vorlas, strahlten die beiden einander selig an und konnte ihre Unterschriften gar nicht schnell genug unter das Dokument setzen, das ihnen nun doch noch eine gemeinsame Zukunft schenkte. Anschließend trug der Qadi die Fatiha vor, die erste Sure aus dem Koran,
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