Das Geheimnis der Maurin
hatte, Raschid aus der Gefangenschaft zu befreien, aber sie wusste, dass sie selbst mit Raschid nicht über einen Besuch bei dem weisen Mann zu reden brauchte. Genau wie ihr Vater damals glaubte auch er nicht an solch hellseherische Fähigkeiten, obwohl er ansonsten, wie die meisten Mauren, recht abergläubisch war und die Voraussage eben dieses Santons bezüglich des Untergangs Granadas in Erfüllung gegangen war. Wenn sie nur wüsste, wo und wie sie den Santon finden könnte … Sie nahm sich vor, mit Tamu darüber zu reden. Vielleicht hatte sie eine Idee, wie man seinen Aufenthaltsort herausfinden konnte.
»Meine Nachfragen im Suq haben leider auch nicht mehr ergeben«, berichtete nun Raschid, der kurz nach Jaime in den Raum getreten war. »Bisher ist bei den Händlern nichts von unseren Wertsachen aufgetaucht. Aber warum soll Sánchez sonst hier sein, wenn es ihm nicht darum geht, unsere Sachen zu versilbern?«
»Fassen wir Sánchez oder Pulgar, bekommen wir auf jeden Fall heraus, wer hinter dem Überfall steckt«, murmelte Jaime.
»Zahra und ich haben überlegt, wer als Hintermann überhaupt in Frage käme«, erwiderte Raschid, »aber leider war diese Liste ziemlich lang, denn im Prinzip müssen wir jeden verdächtigen, der wusste, dass wir mit all unseren Wertsachen gen Portugal gezogen sind.«
»Aber die meisten hätten sich nicht für Chalida interessiert«, widersprach Jaime. »Nein, hinter all dem steckt jemand, der eine Rechnung mit uns offen hat. Aber wer hasst uns so sehr, dass er dafür ein kleines Kind entführen würde?«
»Die kastilische Königin hat Zahra schon einmal übel mitgespielt …«, gab Raschid zu bedenken.
»Aber nur, weil sie eifersüchtig auf das Interesse war, das mein werter Bruder Zahra entgegengebracht hat«, gab Jaime zurück. »Selbst wenn sie gewusst hätte, dass und wo wir unterwegs waren – sie hätte doch froh sein müssen, dass Zahra verschwindet!«
Bei seinen Worten war Zahra errötet, sagte aber nichts.
»Und wenn sich Gonzalo immer noch für Zahra interessiert und sie unter allen Umständen hat zurückholen wollen?«, fragte Raschid.
»Er wirkte sehr verwundert, als ich ihm gesagt habe, dass wir auf dem Weg nach Portugal waren, aber das kann natürlich auch gespielt gewesen sein. Auf jeden Fall hatte er allemal die Möglichkeit, Nachforschungen über unseren Verbleib anzustellen – schließlich war er in Granada. Trotzdem …« Jaime schüttelte den Kopf. »Das passt nicht zu Gonzalo. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich an einem kleinen Kind vergreifen würde! Und scheinbar hat er ja auch gar nicht versucht, weiter Kontakt zu Zahra aufzunehmen.«
»Womit wir mit der Liste möglicher Feinde schon am Ende wären«, seufzte Raschid.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir etwas übersehen«, brummte Jaime, »beziehungsweise jemanden …«
Beide sahen zu Zahra, die noch immer kein Wort gesagt hatte. Unter ihren Blicken errötete sie erneut. »Und wenn … wenn es jemand der Unseren ist? Vielleicht will mich jemand dafür bestrafen, dass ich unverheiratet mit einem Mann zusammenlebe, der zu allem Überfluss auch noch Christ ist … Ihr wisst doch selbst, dass kurz vor unserem Aufbruch von Granada eine muslimische Frau von ihren Brüdern gesteinigt worden ist, weil sie sich mit einem Christen eingelassen hatte!«
»Von ihren Brüdern, eben! Wenn, dann stände mir als Erstem das Recht zu, dich zu richten!«, erwiderte Raschid. »Aber ich habe es nicht getan, sondern Jaime wie einen Bruder aufgenommen und unter meinen Schutz gestellt. Er hat für unser Land und unsere Familie gekämpft; da wird der Allmächtige sicher eine Ausnahme machen!«
»Das muss nicht jeder so sehen«, beharrte Zahra. »Unsere Familie ist groß. Als ich damals Hayat zur Flucht verholfen habe, hätte mich Ali al-Attar am liebsten getötet, dabei wusste er noch nicht einmal, dass unsere Schwester mit einem Christen geflohen ist.«
»Ali al-Attar lebt nicht mehr!«
»Aber seine Söhne!«
Jaime sprang auf. »Hör auf damit, so kommen wir nicht weiter, sondern schwören uns auf Feinde ein, die wir gar nicht haben, und verlieren darüber vielleicht die einzige konkrete Spur, die wir verfolgen können!«
»Aber was willst du sonst tun?«, fragte Raschid.
»Sánchez und Pulgar finden. Und ich finde sie, verlass dich drauf, ich finde sie!«, knurrte Jaime und verließ schon kurz darauf wieder das Haus.
In der nächsten Woche stießen sie jedoch lediglich auf
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