Das Geheimnis der Maurin
sie ihre Soldaten auf«, jammerte Khadidscha und schlüpfte ebenfalls ins Zimmer. »Der ganze Weg zur Alhambra hoch wird von ihnen gesäumt. Bitte, Herrin, kann uns morgen Zubair bei den Einkäufen begleiten? Sie machen mir solche Angst, die Christen!«
»Die Christen …«, setzte Zahra an und wollte fortfahren, dass sie keine Angst vor ihnen haben müssten. Schließlich sei auch Jaime ein Christ, und ihre Mutter sei eine Christin gewesen, bevor sie, nicht zuletzt aus Liebe zu ihrem Vater, zum Islam übergetreten war, und auch so mancher Freund ihrer Familie und der Mann ihrer Schwester Hayat waren Christen, und sie alle waren gute Menschen, Menschen, die sie liebte und für die sie alles tun würde … Aber sie brachte die Worte nicht über die Lippen. Denn auch sie hatte Angst. Bodenlose Angst.
Drei Tage später war es so weit: Die Katholischen Könige hielten ihren endgültigen Einzug in die Stadt. Kein einziger Maure, kein einziger Mudéjar war auf der Straße zu sehen, und auch nicht die Christen und Juden, die bisher mit ihnen hier zusammengelebt hatten. Doch die Sorge, wie es nun weitergehen würde, trieb sie zumindest hinter ihre halb geschlossenen Fensterläden und Mashrabiya-Gitter, von wo aus sie das Treiben auf der Straße beobachten konnten, ohne gesehen zu werden – und nicht anders verhielt es sich in Zahras Familie. Stumm sahen sie zu, wie eine vor Freude trunkene Meute ausgelassener kastilischer Soldaten dem maurischen Palast entgegenströmte, erblickten schließlich die Katholischen Könige, die, getragen von dieser Woge des Siegerglücks, auf ihren edlen Rössern der Alhambra entgegenzuschweben schienen, wo ihr Statthalter, der Conde de Tendilla, auf dem Comares-Turm das kastilische Königsbanner aufziehen und der künftige Erzbischof Granadas, Hernando de Talavera, das christliche Kreuz aufstellen würde.
»Oh Jaime«, stöhnte Zahra leise. »Komm endlich zurück, komm und bring mir Chalida wieder, und dann lass uns von hier weggehen. Das alles wird niemals gut für uns ausgehen!« Zugleich schmerzten ihr Herz und ihr ganzer Körper schon jetzt bei dem Gedanken daran, ihr Granada, ihr innig geliebtes Granada noch einmal verlassen zu müssen. Allah,
ta’ala,
warum, warum nur, vertreibst du uns aus unserem Paradies?
V.
Granada
17 . Januar 1492
O bwohl Zahra eigentlich wie ihre Schwester und ihre Schwägerin hatte sticken wollen, hatte sie an diesem Morgen bisher noch kaum einen Faden eingearbeitet. Auch jetzt legte sie ihre Stickarbeit wieder auf ihrem Schoß ab, und es fiel ihr schwer, ein entnervtes Aufseufzen zu unterdrücken. Sie blickte zu den Kindern, die trotz der Altersunterschiede in einer Ecke des großen Wohnraums friedlich miteinander mit den Tonfiguren spielten, die Raschid ihnen am Vortag auf dem Markt gekauft hatte. Auch Yayah war mit Spaß bei der Sache, obwohl sein Arm weiterhin in einem massiven Verband steckte, aber Abdarrahman war stets an seiner Seite und half ihm, wann immer der Verband ihn behinderte. Zahras Augen wanderten weiter zu Zainab und Deborah. Die beiden saßen direkt am Holzkohleofen, der heimelige Wärme verbreitete, und beschäftigten sich mit Feuereifer mit ihren Stickarbeiten, womit sie eine Atmosphäre von Alltag und Normalität verbreiteten, die Zahra zunehmend schwerer zu ertragen fand – denn nichts in ihrem Leben war mehr normal. Als Zainab anfing, laut darüber nachzudenken, was sie am Abend zu dem Ziegenfleisch essen könnten, das die Dienerinnen am Morgen auf dem Markt erstanden hatten, stand Zahra abrupt auf und verließ den Raum. Im Patio empfing sie schneidende Kälte. Schon seit Tagen fegte ein scharfer Wind über die Dächer der Stadt hinweg und verschonte auch den geschützten Innenhof nicht. Zahra schauderte und zog sich ihren Hidschab wie ein Umschlagtuch eng um die Schultern, doch der Stoff war viel zu fein, um sie wärmen zu können. Trotzdem ging sie nicht in den Wohnraum zurück. Sie wusste, dass sie sonst Zainab anfahren würde, wie sie an Essen denken konnte, während ihre Tochter noch immer in den Klauen dieser Männer war – und wie ungerecht ein solcher Vorwurf gewesen wäre. Deborah, Zainab und die anderen litten nicht weniger als sie, und es war ihr gutes Recht, sich hinter diesem notdürftig errichteten Scheinalltag wie hinter einem schützenden Bollwerk zu verkriechen, statt sich, wie sie selbst, von ihren Ängsten allmählich auffressen zu lassen.
Sie trat zu dem Hibiskus bei der Treppe, die von dem Innenpatio
Weitere Kostenlose Bücher