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Das Geheimnis der Maurin

Das Geheimnis der Maurin

Titel: Das Geheimnis der Maurin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Korte
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zur Galerie des ersten Stocks führte, rupfte ein gelb gewordenes Blatt ab und zerdrückte es in ihrer Hand. Mein Gott, seufzte sie, was hast du mit uns vor? Werden wir im Frühjahr noch immer hier sein und sehen, in welcher Farbe die Blüten der Sträucher erblühen? Dabei hätte sie nicht einmal zu sagen vermocht, was ihr mehr Angst einjagte: tatsächlich noch hier zu sein oder es nicht mehr zu sein. Drei Wochen waren bereits vergangen, seit Jaime aufgebrochen war, um Chalida zu suchen, und noch immer hatten sie keine Nachricht von ihm. Wenn sie wenigstens gewusst hätte, ob er die Spur der Entführer hatte wiederfinden können oder ob er etwas darüber herausgefunden hatte, wie es Chalida ging! Chalida … ihr kleines Vögelchen … Sicher war ihr schönes, langes Haar schon ganz verfilzt, weil sich niemand die Mühe machte, es ihr, die sich im Schlaf so viel hin- und herwarf, vor dem Zubettgehen zu flechten. Ob sie wenigstens darauf achteten, dass sie warm genug angezogen war? Sie fror doch so schnell!
    Je länger sich Zahra diese Fragen stellte, desto deutlicher sah sie das Bild ihrer kleinen Tochter vor sich und desto mehr krampfte es ihr das Herz zusammen. Und schließlich musste sie sich die schlimmste aller Fragen stellen: Lebte ihr Kind überhaupt noch?
    Zahra schloss die Augen, ließ sich an der Wand entlang zu Boden gleiten, zog die Beine an den Körper, umschlang sie und drückte ihren Hinterkopf gegen die Wand, erst leicht, dann fester und fester, geradezu, als wolle sie ihn hineinpressen. Chalida, Chalida, Chalida! Mit jedem Herzschlag pochte ihr Name in ihr auf, immer schneller und schneller, und mit einem Mal wurde die Angst um sie so übermächtig, dass sie sich auf die Finger beißen musste, um nicht aufzuschreien.
    Kurz darauf trat Maria aus der Küche in den Patio. Die Dienerin blickte zu ihr, schien zu merken, dass sie störte, und machte Anstalten, sich wieder zurückzuziehen.
    Augenblicklich riss Zahra sich zusammen. »Du hast doch was, also bleib und sag, was es ist!«
    Unsicher zog Maria die Schultern hoch und presste die Lippen zusammen.
    »Oh Maria«, seufzte Zahra, fand jetzt aber immerhin die Kraft, sich wieder aufzurichten, und ging zu der Dienerin. Als sie vor ihr stand, sah sie, dass ihre Augen in Tränen schwammen. »Aber Maria, so rede doch! Was hast du denn?«
    »Ach Herrin, die christlichen Soldaten …« Sie wischte sich über die Augen. »Sie jagen mir furchtbare Angst ein! Als Khadidscha und ich eben auf dem Markt einkaufen waren, hat einer von ihnen versucht, mir den Niqab vom Gesicht zu reißen. Ich habe solche Angst, dass sie herausfinden, dass ich Kastilierin und meinem alten Herrn davongelaufen bin!«
    »Aber Maria, das ist zehn Jahre her«, versuchte Zahra sie zu beruhigen. »Wer weiß, ob dein alter Herr überhaupt noch lebt!«
    »Aber sie fänden auf jeden Fall heraus, dass ich eine Renegada bin – warum sonst würde ich als Kastilierin einen Schleier tragen, wenn nicht, weil ich zum muslimischen Glauben übergetreten bin!« Maria schluchzte auf. »Herrin, man erzählt sich so viel Schreckliches, was die Inquisitoren mit uns Renegados anstellen!«
    Jetzt schlüpfte auch Khadidscha von der Küche in den Patio. »Und ich habe auch Angst, Herrin! Ihr müsstet sehen, wie die christlichen Soldaten uns anstarren, wenn wir ihnen im Suq über den Weg laufen!«
    Zahra schüttelte schwer atmend den Kopf. Sie verstand die beiden nur zu gut. Seit Raschid ihr erzählt hatte, dass oben in der Alhambra über tausend Berittene und fünftausend Fußsoldaten untergebracht worden waren, war auch ihr der Schreck in die Glieder gefahren, und wenn sie einem von ihnen auf dem Weg zum Hammam über den Weg lief, sah sie zu, dass sie schnell weiterkam, um nur ja nicht deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    »Bitte, Herrin, Ihr dürft uns nicht mehr allein zum Einkaufen schicken, ich flehe Euch an!«, jammerte Khadidscha.
    »Aber sie können euch nichts tun, sie dürfen es gar nicht!«, versicherte Zahra ihnen, obwohl sie deren Sorgen nur zu gut verstand. »Außerdem können wir uns nicht auf alle Zeiten nur in unseren Häusern verkriechen!«
    Plötzlich stürzte jemand von der Straße ins Haus und sofort weiter in den Innenpatio. Es war ihr Diener Musa, ein junger, kaum dem Knabenalter entwachsener und überaus eifriger Bursche, der zum Brotkaufen aus dem Haus gegangen war. Schweiß perlte auf seiner Stirn, und sein Atem ging so schnell, dass er zunächst kein Wort

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