Das Geheimnis der Maurin
ihren Mann verloren, und erst durch die Bekanntschaft mit diesem Mann schien sie allmählich über den Verlust hinwegzukommen. Sie nahm sich vor, Raschid und Jaime zu bitten, auch über Shihab noch ein paar Nachforschungen anzustellen. Ihr Blick ging zu Jaime. Der milchige Schein der Straßenlaterne vor dem Haus erlaubte ihr, seine Umrisse zu erkennen. Wie immer schlief er auf seiner rechten Seite, den Arm unter dem Kopf, die linke Hand in ihre Richtung gestreckt, als müsse er sich ihrer Nähe selbst im Schlaf versichern. Ach Jaime, seufzte Zahra. Sie strich ihm behutsam über seine dicken Locken und hätte ihn geküsst, wenn sie nicht Sorge gehabt hätte, ihn damit zu wecken.
Auch als später der Ruf des Muezzins zum Morgengebet durch die stillen Straßen bis zu ihr schwebte, wälzte Zahra noch immer schwere Gedanken. Sie erhob sich und fand in der rituellen Waschung und dem Gebet endlich einen Moment der inneren Ruhe. Zum Abschluss murmelte sie den Segenswunsch »As-Salamu alaikum« und »Allahu akbar«, Gott ist groß, verneigte sich ein letztes Mal gen Mekka, wobei sie darauf achtete, dass Stirn, Nase und Handflächen den Gebetsteppich berührten, und hob den Blick zum Fenster. Sie sah, wie sich das Mashrabiya-Gitter gegen das erste, noch diffuse Morgenlicht absetzte, und wandte dann den Kopf zu Jaime, der ihren Blick mit einem Lächeln auffing. »Ich liebe es, dir beim Beten zuzusehen. Du bist dabei so sehr eins mit dir – und wunderschön!«
Sie erwiderte sein Lächeln, rollte ihren Gebetsteppich zusammen und küsste ihn. »Ich wünsche dir einen guten Morgen!«
»Wäre schön, wenn es wirklich einer würde …« Jaimes Lächeln verschwand. Er strubbelte sich durchs Haar und setzte sich auf – und Zahra hatte den Eindruck, dass etwas Gehetztes in seine Miene trat.
»Jaime, was hast du?«
»Aber nichts, Zahra, gar nichts!« Er wich ihrem Blick aus, erhob sich und zog seine kastilischen Beinkleider an.
Zahra rang mit sich – und konnte nicht länger schweigen. »Jaime, warum … warum hast du mir nicht erzählt, dass diese Platzwunde neulich die Folge einer Schlägerei mit den ehemaligen Leibwächtern Juans war?«
»Zahra, ich flehe dich an: Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, und du siehst schon wieder Probleme, wo gar keine sind!«
»Du weißt genau, dass das nicht stimmt! Also: Was ist mit diesen Leibwächtern? Und wie gefährlich sind sie?«
Jaime knöpfte sein Wams zu.
»Warum antwortest du mir nicht?«
»Weil ich nichts dazu zu sagen habe!«, knurrte Jaime und stemmte seine Füße mit einem unüberhörbaren Fluch in die Stiefel. Dann sah er doch noch einmal zu Zahra. »Ich kümmere mich um die Welt da draußen, du um die Welt hier drin. So will es doch auch dein Koran, oder etwa nicht?«
»Netter Versuch, nur weiß ich, dass du so nicht denkst!« Zahra erhob sich nun ebenfalls. »Aber bitte, wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, dann statte ich eben ein paar von Mutters Freundinnen einen Besuch ab. Auch einige von ihnen haben Söhne, die sich inzwischen in der Alhambra verdingen und …«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen!«, donnerte Jaime sie an, packte sie im gleichen Moment am Arm und zog sie grob an sich heran. »Zum Donner noch eins, das alles hier ist kein Spiel!«
Zahra blickte auf ihren Arm, woraufhin Jaime sie sofort losließ. »Entschuldige, ich wollte dir nicht weh tun …« Er fuhr sich mit den Händen durch seine Locken. »Zahra, es … das ist alles nicht so einfach. Und ja, ich habe meine Schwierigkeiten mit Juans alten Leibwachen, aber das sind … sind Lappalien gegen gewisse andere Dinge, die ich befürchte.«
»Auch das hat Raschid mir letzte Nacht gestanden: die beiden Männer im Nachbarhaus – meinst du die?«
Jaime nickte. »Bisher ist es nur ein Verdacht, deswegen wollte ich dich nicht beunruhigen. Aber der eine dieser Männer war früher genau wie Sánchez und Pulgar ein Söldner, der jedem diente, der volle Truhen hatte. Aber wir können nicht offen gegen ihn vorgehen. Er hat gute Freunde an den höchsten Stellen, und du musst dich da schon ganz und gar raushalten. Früher mag dich der Name deines Vaters geschützt haben, aber heute interessiert es keinen Menschen mehr, dass du die Tochter des großen Abdarrahman as-Sulami bist und er einer der wichtigsten Vertrauten des Emirs war. Und auch ich war viel zu lange weg vom christlichen Hof und habe viel zu viele Dinge getan, die einige Menschen dort nie vergessen werden, um dich schützen zu
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