Das Geheimnis der Maurin
erklären, dass wir uns fortan von Juden fernhalten werden – und es ist auch noch vieles andere dabei, was wir werden schwören müssen, was er uns noch nicht hat sagen wollen, um uns die Herzen nicht noch schwerer zu machen.«
»Und du meinst, dass du das über die Lippen bringen kannst?«, fragte Zahra und fröstelte.
Deborah zog die Schultern hoch und schloss die Augen. Als unter ihren Lidern Tränen hervorquollen, hatte nicht nur Zahra erneut den Impuls, sie in die Arme zu nehmen, doch Deborah hob die Hand, schluckte und presste heiser hervor: »Lasst mich, bitte. Ich muss … damit allein fertigwerden. Am besten … ich lege mich jetzt etwas hin.«
Sie nickte ihnen zu, stieg die Treppe zur Galerie empor und verschwand in ihrem Zimmer.
»Ich … ich kann sie jetzt doch nicht allein lassen«, stammelte Raschid und sah ihr hilflos nach.
»Du wirst es müssen.« Zahra legte ihm die Hand auf den Arm. »Bleib hier, Raschid, und lass uns für Deborah ein
du’a
beten. Mehr können wir im Moment nicht für sie tun.«
In den nächsten Tagen wirkte Deborah so gefasst, dass man hätte meinen können, sie denke gar nicht mehr an das, was ihr bevorstand. Wenn Raschid oder Jaime von ihnen bekannten Juden erzählten, die jetzt ihr Hab und Gut verkauften, um das Land zu verlassen, zog sie sich allerdings schnell zurück.
Die Not der Juden berührte sie alle, und das Argument der Christen, dass sich die Juden doch »einfach nur« taufen lassen müssten, erschien ihnen als blanker Hohn. Zu allem Übel kamen auch noch weitere Schwierigkeiten auf die ohnehin schon geplagten Menschen zu: Durch die immens hohe Zahl von scheidenden Juden – man sprach von über hunderttausend, einem Achtel der Bevölkerung des Landes also – wurden die Märkte mit Waren nur so überschwemmt: Möbel, Kleider und Vieh wurde in riesigen Mengen zum Verkauf angeboten, ebenso Häuser und Ländereien. Da die Käufer fehlten, mussten die Juden ihren Besitz immer häufiger zum Schleuderpreis hergeben, wenn sie überhaupt noch etwas dafür bekommen wollten. Eine kostbare Truhe wechselte den Eigentümer für ein Pfund Getreide, ein Haus für einen Fuhrwagen, ein Weinberg ging für einen Esel dahin.
Zudem durften die Juden weder Pferde noch Waffen, Gold, Silber und Münzen ausführen. Einzig Isaac Abravanel, der es im Gegensatz zu dem weit betagteren Abraham Seneor vorzog, sich nicht taufen zu lassen, war zugebilligt worden, das Land mitsamt seinem Gold, Silber und seinen Juwelen zu verlassen – und zuvor zahlten die Könige ihm auch die Kredite zurück, die sie bei ihm aufgenommen hatten und sich auf immerhin anderthalb Millionen Maradevis beliefen. Alle anderen Juden mussten ihr Gold und Silber in andere Werte umsetzen – wobei sie wiederum viel verloren, denn die Wechsel, hinter denen die Könige als Garanten standen, waren kein faires Entgelt, da ihnen dafür sehr hohe Zinsen abgezogen wurden.
Immer wieder diskutierten Raschid, Jaime und Zahra über das Elend der scheidenden Juden, taten dies Deborah zuliebe allerdings nur noch, wenn sie allein in Raschids Arbeitszimmer saßen.
Auch an diesem Abend lauschte Zahra mit wachsender Beklommenheit Raschids neuestem Bericht.
»Und was«, fragte Zahra schließlich, »was wird eigentlich, wenn die Christen uns eines Tages ebenso ausweisen wie die Juden? Letztlich wundert es mich sogar, dass sie die Juden und nicht uns ausweisen: Immerhin verbindet sie mit den Juden doch viel mehr als mit uns!«
»Sie können die Mauren nicht ausweisen«, antworteten Raschid und Jaime wie aus einem Mund; und Raschid fuhr fort: »In den Übergabevereinbarungen, die Boabdil und die christlichen Könige unterschrieben haben, steht eindeutig, dass die Mauren …«
»…
und
die Juden hier weiterleben können!«, fiel Zahra ihm ins Wort. »Eben:
und die Juden!
Zumindest die Juden im ehemaligen Maurenreich müssten also geschützt sein. Und was, wenn die Ausweisung der Juden nur der Anfang ist?«
»Dazu wird es nicht kommen, Zahra«, beharrte Jaime. »Und wenn Juan erst mehr an Einfluss gewinnt, wird dies noch weniger der Fall sein!«
»Du und dein Prinz …« Zahra hob unwillig die rechte Augenbraue.
»Ja, ich und mein Prinz«, gab Jaime heftig zurück und erhob sich ärgerlich von seinem Sitzkissen. »Und bete, dass er diesem Königreich erhalten bleibt, denn es gibt viel Schlimmere! Wieso, zum Teufel, kannst du nicht endlich mal mit dem ständigen Zweifeln aufhören und lieber froh und dankbar sein,
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