Das Geheimnis der Maurin
Zimmertür einen Spalt weit öffnete und Chalida hineinlinste. »Darf ich zu Euch kommen, Mutter? Und Miled auch?«
Zahra nickte und sah, wie Chalida ihrem Hund befahl, neben der Tür Platz zu machen, woraufhin sich der Kerl, obwohl Chalida ihn mit ihren fünf Jahren von der Größe her kaum noch überragte, auch sofort hinlegte und mit gespitzten Ohren zu ihr aufsah, ob sie noch weitere Befehle für ihn hatte.
»Oh«, machte Zahra, »wie ich sehe, hast du gewaltige Fortschritte mit ihm gemacht!«
Das Lob ihrer Mutter ließ Chalida strahlen. Sie rief dem Hund noch ein »Bleib!« zu und rannte dann zu Zahra, um sich mit einem seligen Seufzer an ihre Brust zu werfen und an sie zu kuscheln. »Ich habe Euch ja so so so so sehr vermisst!«
»Und ich dich erst!« Zahra strich ihr durch die Locken. »Und welche Angst ich um dich hatte!«
»Ich auch um Euch«, seufzte Chalida, »aber eigentlich war ich mir ganz sicher, dass Ihr und Vater und Tante Zainab heil wiederkommen würdet.«
»Oh, warst du dir?« Zahra konnte ein amüsiertes Grinsen nicht unterdrücken. »Und wieso?«
»Weil ich es gespürt habe und weil ich alle unsere Götter darum angefleht habe.«
Zahra hielt sie ein Stück von sich, um sie besser ansehen zu können. »Was soll das heißen: alle unsere Götter? Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet!«
»Ja, natürlich, das schon«, versicherte Chalida hastig, »und ich habe meine Bittgebete auch immer an Allah gerichtet, aber weil ich ganz sicher sein wollte, dass Euch nichts geschieht, habe ich außerdem auch noch zu Deborahs Ewigem und zu Vaters Jesuskind gebetet. So hatte ich einen Gott für jeden von Euch, und sie haben dann ja auch gemacht, dass Ihr alle heil wiedergekommen seid!«
Das Kind strahlte sie so glücklich und so stolz ob seines klugen Schachzugs an, dass Zahra ihm nicht böse sein konnte, dennoch erklärte sie ihm noch einmal, dass es nur einen Gott gäbe. »Du bist Muslima, Chalida, und dein Gott ist niemand anderes als Allah. Du darfst zu niemandem sonst beten, und vor allem nicht zu Jesus. Nach unserem Verständnis ist er kein Gott, sondern lediglich ein Prophet, und es ist eine sehr schwere Form von Unglauben, wenn man andere Götter anbetet, verstehst du das?«
»Aber es waren nur ein paar
du’as,
und Vater sagt doch immer ›Vater, Sohn und Heiliger Geist‹, wenn er betet, und er sagt, die drei seien sein Gott, und Deborah betet zu dem Ewigen … Wenn sie es dürfen, warum darf ich es dann nicht?«
»Weil du – im Gegensatz zu ihnen – Muslima bist, und außerdem …« Ja, was außerdem?, fragte sich Zahra. Wie erklärte man einem Kind, dass es nur einen Gott gab und dieser Allah war, wenn der eigene Vater an einen anderen und zudem noch an einen dreifaltigen Gott glaubte und die Tante wieder einen anderen Gott anbetete. Und vor allem: Wie sollte sie das Chalida erklären, ohne die anderen des Irrglaubens zu bezichtigen?
»Sie … sie wissen es nicht besser«, sagte sie schließlich zu Chalida. »Aber wenn du Allah bittest, sie zu erleuchten, werden sie vielleicht eines Tages verstehen, dass es nur einen wahren Gott gibt – und dass dies Allah ist. Und da du dies schon weißt, mein Engel, darfst du zu niemand anderem beten als zu Allah, weil dies
shirk
wäre, Vielgötterei. Im Koran steht in der vierten Sure in Vers achtundvierzig:
Wahrlich, Allah wird es nicht vergeben, dass Ihm Götter zur Seite gestellt werden; doch vergibt Er das, was geringer ist als dies, wem Er will. Und wer Allah Götter zur Seite stellt, der hat wahrhaftig eine gewaltige Sünde ersonnen.
Verstehst du das? Es gibt nur den einen Gott, nur Ihn, und auch in einem Bittgebet darf man keine anderen Götter oder Heilige anbeten!«
Chalida krauste die Stirn und wirkte alles andere als überzeugt, aber noch ehe Zahra mit weiteren Erklärungen aufwarten konnte, sah Tamu zu ihnen ins Zimmer und scheuchte Chalida und ihren Hund mit wedelnden Handbewegungen hinaus. »Raus hier, raus, deine Mutter braucht Ruhe, zum Donner, und dann hat sie auch noch den Hund dabei, also so was aber auch!«
Kopfschüttelnd sah sie die beiden entschwinden, reichte Zahra einen Beruhigungstrank, den diese unter ihren wachsamen Augen zu sich nehmen musste.
Doch Zahra fand keinen Schlaf. Ständig musste sie über Chalidas Worte nachdenken und nahm sich vor, mit ihr in der nächsten Zeit weit mehr als bisher über ihre Religion und ihren Gott zu sprechen. Zudem beunruhigte sie, dass die rechte Seite ihrer
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