Das Geheimnis der Maurin
überhaupt jemanden eine Schuld trifft, dann mich!«, beruhigte Zahra ihn. »Schließlich war mir bewusst, dass es gefährlich ist, allein loszureiten, auch wenn natürlich niemand ahnen konnte, dass Ibrahim hinter all unserem Leid steckte und seine Leute im Haus gegenüber nur darauf gewartet haben, Zainab, Chalida oder mich irgendwann ohne die Begleitung unserer Wachleute zu erwischen!«
»Trotzdem«, beharrte Gonzalo und schien nicht anders zu können, als sie immer weiter anzusehen.
Zahra musste sich eingestehen, dass sein Blick sie berührte, obwohl sie wusste, dass sie dies nicht empfinden durfte. Als Zainab nach ihr rief, war sie deswegen erleichtert und huschte ihr schnell hinterher.
Auch beim Essen spürte Zahra immer wieder Gonzalos Blicke auf sich, und das, obwohl die Männer ein gutes Stück von den Frauen entfernt saßen. Sie wusste, dass sie seine Blicke nicht erwidern durfte, aber schließlich hielt sie die Anspannung nicht länger aus und sah doch zu ihm – und bereute es sofort, als sie die Sehnsucht sah, die in seinen Augen glomm. Sie deutete ein Kopfschütteln an und bemerkte, dass Jaime irritiert zwischen ihr und Gonzalo hin- und hersah. Hastig starrte Zahra wieder auf ihren Teller, hob den Blick für den Rest der Mahlzeit nicht wieder und zog sich gleich nach dem Nachtisch unter dem Vorwand zurück, sich ausruhen zu müssen. Zainab schloss sich ihr an. Während die Männer mit ihrem Gastgeber in einem Raum schliefen, war für Zahra und Zainab ein Schlafplatz in einem kleinen Zimmer vorbereitet worden, das im Winter der Lagerung von Vorräten diente.
Zahra legte sich neben Zainab auf ihr schlichtes Nachtlager. Da sie beide von den Tagen ihrer Gefangenschaft unendlich erschöpft waren, blies Zahra direkt die Lampe aus. Das Mondlicht schickte sein sanftes Licht in ihr Zimmer, was sie nach der Schwärze, die sie in ihrem Gefängnis hatten ertragen müssen, als Wohltat empfand. Trotzdem fand sie keinen Schlaf und merkte, dass sich auch ihre Schwester immer wieder unruhig hin- und herwälzte.
»Du, Zahra …«, hörte sie ihre Schwester nach einer Weile mit einer kleinen, schüchtern klingenden Stimme. »Ich … ich will dir gewiss keine Vorschriften machen, aber Gonzalo – er sollte dich nicht so ansehen. Das … gehört sich nicht.«
»Ich weiß«, gab Zahra leise zurück. »Und auch ich sollte … nun, ich hätte zumindest konsequent wegsehen müssen. Aber …« Sie verstummte.
Als sie weiterhin schwieg, setzte Zainab wieder zu reden an. »Ich verstehe dich nicht. Ich meine, welche Frau hat schon das Glück, mit dem Mann zu leben, den sie sich selbst ausgesucht hat? Und dann … dann …«
»Du findest mich undankbar, nicht wahr?«
»Nein, aber …« Zainab brach ab und seufzte kurz darauf: »Ja, doch, irgendwie schon. Statt froh zu sein, dass Jaime noch lebt … Und es gehört sich eben nicht!«
»Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach sie. »Und es … Es war auch nur … Ach, Zainab, wenn ich Gonzalo ansehe, kommt so vieles von früher in mir hoch, die Erinnerung an eine Zeit, in der alles noch richtig und gut und hoffnungsvoll zu sein schien. Als ich ihn kennengelernt habe, war ich noch ein ganz junges Mädchen! Und wie sehr mir damals seine Nachdenklichkeit und sein Selbstbewusstsein imponiert haben, diese Art, die Dinge zu hinterfragen, und überhaupt sein ganzes Bemühen um Frieden zwischen unseren Völkern!«
»Aber du liebst doch Jaime!«
»Natürlich liebe ich ihn, und das alles hat mit Jaime auch gar nichts zu tun. Das ist … einfach etwas ganz anderes«, beendete sie ihren Satz, weil ihr keine Erklärung dafür einfiel. Es war auch wirklich etwas gänzlich anderes, beharrte sie in Gedanken und sagte es sich dann gleich noch einmal: Ja, natürlich ist es etwas anderes! Sie hoffte nur, dass Jaime und Gonzalo das auch so sehen konnten.
Wie geplant machten sie sich am nächsten Tag auf den Heimweg nach Granada, wo sie kurz nach Mittag eintrafen. Das Wiedersehen mit den Kindern, mit Deborah und Tamu – mit all den Menschen, die sie so sehr liebte, war für Zahra fast mehr, als sie aushalten konnte. Sie war so glücklich, dass sie ständig weinen musste, und schließlich ordnete Tamu an, dass sie ins Bett gehöre.
»Ihr müsst erst einmal wieder zu Euch kommen«, brummelte die gute Alte, brachte Zahra eigenhändig nach oben und wachte darüber, dass sie sich auch tatsächlich hinlegte.
Tamu hatte sie erst wenige Minuten allein gelassen, als sich die
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