Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
geglaubt, du könntest damit ungesehen fortziehen?«
»Es … es gibt keinen Klosterschatz, Herr«, krächzte Anna, aber Gero von Hochstaden achtete nicht weiter darauf.
Er riss den Sack vom Sattelknauf des Pferdes und schüttelte den Inhalt einfach auf dem Boden aus, ohne Anna aus den Augen zu lassen. Als nichts von Belang zum Vorschein kam außer ein wenig Wäsche, eine Ersatzkutte, Schreibzeug sowie ein Buch über Kräuterheilkunde, stieß er Anna grob an der Schulter an die Klostermauer. Sorgfältig achtete er darauf, seinen Unterleib mit der Schneide des Schwertes vor einer unvorhersehbaren Attacke durch Annas Füße zu schützen. Fast spielerisch stieß er Anna mit der Spitze seines Schwertes an.
»Du kommst jetzt mit zum Erzbischof. Wenn du versuchst davonzulaufen, bekommst du meine Schwertspitze zu spüren. Hast du verstanden?«, befahl er. Zur gleichen Zeit konnte er den Blick nicht von Annas Augen lösen und steckte den linken Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger.
Er hat Angst vor meinem bösen Blick, dachte Anna.
Schließlich wandte sich Gero von Hochstaden ab und sagte nur: »Vorwärts, auf zum Erzbischof. Na los, mach schon!«
Es dauerte einen Augenblick, bis Anna klar wurde, dass sie für dieses Mal noch mit dem Leben davongekommen war. Sie hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber dass sie jetzt zum Erzbischof gebracht wurde, konnte nur bedeuten, dass irgendetwas von ihrem Geheimnis herausgekommen war. Hatte Pater Urban gestanden? Ihre wahre Identität verraten? Das konnte sie sich nicht vorstellen, er war ihr all die Jahre wie ein Vater gewesen.
Sie ging dem Ritter voran. Er führte den Schimmel am Zügel und stupste sie immer wieder mit seinem Schwert in den Rücken, um sie zu anzutreiben. Vielleicht wollte er sie auch reizen. Aber Anna beging nicht den Fehler und versuchte zu fliehen. Dann hätte Gero von Hochstaden einen Grund gehabt, sie niederzustrecken. Den Gefallen wollte sie ihm nicht tun.
Als sie das Nebengebäude mit der Empfangshalle des Abtes erreichten, standen zwei Bewaffnete an der Mauer und vertrieben sich die Zeit damit, ihre Messer auf die Holztür zu werfen, auf die sie mit Kreide eine Zielscheibe gemalt hatten. Einer hatte einen glattrasierten Schädel, der andere war hager, hatte braunes Haar und trug eine Augenklappe. Der Glattrasierte zog sein Messer aus dem Holz und zeigte damit auf Anna. »Schau sich einer dieses Bürschchen an! Wo kommst du denn her?«
Gero schubste Anna in den Rücken, so dass sie dem Hageren in die Arme stolperte, der sie grob wieder wegstieß.
»Wollte Reißaus nehmen, das kleine Mönchlein«, höhnte Gero und schubste Anna wieder zurück. Der Hagere packte sie derb am Kragen und hielt sie fest, bis Gero den Schimmel an einem Ring an der Mauer angebunden hatte.
Dann nickte Gero dem Hageren zu und nahm Anna wieder in Empfang.
»Haltet die Augen offen«, befahl Gero den beiden Bewaffneten. »Und wenn Ihr noch jemanden seht, der zu fliehen versucht, dann packt ihn und bringt ihn mir.«
Er stieß Anna zur Tür.
»Mach schon auf«, herrschte er sie an.
Anna öffnete, und Gero versetzte ihr einen derben Tritt, so dass sie vor ihm in den Gang stolperte, der zur Halle führte.
* * *
»Bruder Marian, richtig?«, fragte der Erzbischof.
Anna stand ihm in der Empfangshalle gegenüber. Er schaute geringschätzig zu ihr hinab, Anna hatte den Blick scheinbar demütig auf den Boden gerichtet. Im Hintergrund saßen Pater Sixtus, der Adlatus des Erzbischofs, und Graf Lothar von Hochstaden auf den Stühlen am Kamin. Sie sahen ernst und staatstragend aus, stellte Anna fest, die versuchte, aus dem Augenwinkel zu erkennen, was sie erwartete.
Gero von Hochstaden hielt sie am Oberarm fest und sagte: »Er wollte sich mit dem Pferd des Priors aus dem Staub machen.«
»Habe ich dich etwas gefragt, Gero?«, fuhr ihn der Erzbischof scharf an.
»Nein, Eure Eminenz«, antwortete Gero kleinlaut.
»Dann lass ihn los. Er kann für sich selbst sprechen. Also?«
Anna glaubte zuerst, dass sie keinen Laut hervorbringen würde. Als sie dann mühsam zu reden begann, klang es, wie wenn ihre Stimme gar nicht zu ihr gehörte.
»Ja, Eure Eminenz. Bruder Marian werde ich genannt.«
Anna stand mit hängenden Schultern da und wandte den Blick nicht vom Boden, während der Erzbischof sie lauernd umkreiste und mit seinem Verhör fortfuhr.
»Was hast du um diese Zeit mit dem Pferd des Priors vorgehabt?«
»Eure Eminenz, bin ich der Famulus des Priors . Er hat mir
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