Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
ein Fehler. Völlig unvermittelt rammte ihm Anna das Knie, so fest sie konnte, zwischen die Beine.
Der Mann schnappte nach Luft und sackte zusammen wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Stöhnend hielt er sich den Schritt.
Anna beugte sich über ihn. Sie konnte es nicht lassen, ihm zu sagen: »Ihr findet den Prior in der Halle des Abtes, Herr. Den Gang runter und dann rechts. Das könnt Ihr nicht verfehlen.«
Dann drehte sie sich um, eilte davon und ließ ihn liegen.
* * *
Als Gero von Hochstaden wieder Luft bekam und sich aufrappelte, wollte er sofort hinter diesem verdammten kleinen Mönch her und ihn am nächsten Glockenseil aufhängen. Aber erst, nachdem er ihm den Bauch mit seinem rasiermesserscharfen Dolch aufgeschlitzt und die Eingeweide herausgeholt hätte. Er war es gewohnt, mit seinem Schwert oder dem im Stiefel versteckten Dolch dafür zu sorgen, dass er den Respekt erhielt, der einem von Hochstaden gebührte. Niemand wagte es, gegen ihn aufzubegehren. Und jetzt? Jetzt lag er im Schmutz vor der Seitenpforte des Refektoriums. In seinem neuen Mantel, den er sich gerade für teures Geld hatte anfertigen lassen. Noch nie war er so gedemütigt worden! Und das auch noch von einem Mönch, der ihm gerade bis zur Brust reichte!
Er versuchte, sich vom Schmutz zu säubern, und sah sich verstohlen um. Nein, Gott sei Dank war niemand Zeuge dieser Erniedrigung geworden, wenigstens das war ihm erspart geblieben. So etwas hätte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen: Gero von Hochstaden, der Sohn des mächtigen Lothar von Hochstaden, Bruder des Erzbischofs, hatte sich von einer kleinen Ratte in einer Mönchskutte aufs Kreuz legen lassen. Er wäre zum Gespött seiner Kumpane, schlimmer noch: der einfachen Leute geworden.
Die Glocken der Klosterkirche läuteten. Die Messfeier vom letzten Abendmahl am Gründonnerstag hatte begonnen. Dann war der Prior, den Gero auf Geheiß des Erzbischofs gesucht hatte, wohl inzwischen in der Kirche. Es wurde Zeit, dass auch Gero zur Messe erschien. Der dumme Zwischenfall mit diesem Mönchlein hatte ihn unnötig lange aufgehalten. Schließlich war Gero im Gefolge seines Onkels nach Heisterbach gekommen, um sich vom Prior die Füße waschen zu lassen.
Die Messe war bereits in vollem Gang, als Gero durch den Seiteneingang die Klosterkirche betrat. Die Leute standen dicht an dicht, das Kirchenschiff war bis auf den letzten Platz besetzt. Der an- und abschwellende Gesang der Mönche, die im Chorgestühl hinter dem Lettner saßen und ihr Bestes gaben, trug seinen Teil dazu bei, die Gläubigen in eine erwartungsvolle und feierliche Stimmung zu versetzen.
Aber ganz allmählich kam Unruhe auf – wo war der Prior, ohne dessen Anwesenheit am Altar die Messe üblicherweise nicht begann? Gero zuckte entschuldigend mit den Schultern, als er den fragenden Blick des Erzbischofs auf sich gerichtet sah.
Endlich hastete Pater Urban durch den Lettner herein, sein liturgisches Gewand noch schnell zurechtzupfend, verlangsamte seinen Schritt, grüßte ehrerbietig die erste Reihe der Anwesenden und drehte sich mit feierlich erhobenen Händen mit dem Gesicht zum Altar. Er begann mit dem Glaubensbekenntnis, das die Gemeinde, erleichtert darüber, dass nun doch alles seinen gewohnten Verlauf nahm, mitmurmelte: » Credo in Deum Patrem omnipotentem, Creatorem caeli et terra …«
Ein lauer Wind hatte die letzten Wolken vertrieben, und die Sonne war endlich nach den endlosen Spätwinterwochen hoch genug geklettert, um ihre Strahlen genau in diesem Moment durch die reich verzierten bunten Glasfenster auf den Altar zu schicken und ihn in ein schier übernatürliches Licht zu tauchen, das in allen Farben des Regenbogens leuchtete. Von dieser fast greifbaren Epiphanie, die beim Volk im Kirchenschiff ein Raunen hervorrief, unbeeindruckt, hielt Gero Ausschau nach seinem Platz in der ersten Reihe, wo schon elf Gläubige, die vom Erzbischof handverlesen waren, warteten, dass der Prior ihnen die Füße wusch. Ganz so, wie es im Johannesevangelium geschrieben stand. Dass Gero unter den Auserwählten war, hatte er dem Einfluss seines Vaters zu verdanken, der ihn in diesem Moment entdeckte und ihm den Platz zwischen sich und dem Erzbischof freigehalten hatte. Vielleicht glaubte sein Vater, durch den heiligen Akt der Fußwaschung würde sein Sohn doch noch auf den Pfad des Glaubens geführt werden, so wie es der Erzbischof immer forderte, der Geros gelegentliche Konflikte mit Recht und
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