Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
rechtzeitig vor der Ankunft des Erzbischofs zu euch. Ich werde der Äbtissin von Kloster Mariental zu Frauenzimmern einen Brief schreiben und sie darum bitten, Anna aufzunehmen. Frauenzimmern liegt im Südwesten des Reiches. Dort ist sie weitab vom Einflussbereich des Erzbischofs und damit vor jeglicher Gefahr sicher. Ich kenne die Äbtissin, sie wird mir den Wunsch nicht abschlagen. In zwei Wochen werde ich euch aufsuchen und dann wird Anna so weit sein, dass sie bereit ist, die Braut unseres Herrn Jesu Christi zu werden. Das Kloster Mariental kann sich glücklich schätzen, eine so gute Infirmaria wie Anna für sich zu gewinnen, glaubt mir.«
Annas Mutter küsste die Hand des Priors und weinte dabei. »Ihr habt so viel für unser Kind getan, Pater Urban. Möge Gott es Euch dereinst vergelten. Mein Mann und ich werden Euch das nie vergessen …«
In diesem Augenblick klopfte es heftig an der Tür.
»Ja?«, sagte Pater Urban unwirsch.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein Novize traute sich kaum, den Kopf hereinzustecken.
»Ich habe doch ausdrücklich angeordnet, nicht gestört zu werden!«, herrschte der sonst so sanfte Prior den Novizen an.
»Vergebt mir, Euer Gnaden, aber Pater Antonius hat mir ausdrücklich aufgetragen, dass ich Euch unter allen Umständen Bescheid geben muss.«
»Ja und?«, fragte Pater Urban ungeduldig.
»Pater Antonius hat mir befohlen, Euch zu melden, dass Seine Eminenz, der Erzbischof, soeben samt Gefolge eingetroffen ist.«
Bei diesen Worten erstarrte Pater Urban zur Salzsäule. Es dauerte einen Herzschlag lang, bis er einen Satz herausbrachte: »Seine Eminenz … der Erzbischof … er ist hier im Kloster Heisterbach?«
»Ja. Er erwartet Euch in der Kirche. Alle warten in der Kirche auf Euch. Ihr wolltet doch die Messe lesen und die vorösterliche Fußwaschung selbst vornehmen.«
Pater Urban griff sich an den Kopf. Erst jetzt vernahm er überdeutlich die Glocke der Abteikirche, die den Beginn des Gottesdienstes ankündigte.
»Um Gottes willen – ist es schon so spät …«, murmelte er hastig. Aber dann setzte sein Verstand wieder ein, und er winkte den Novizen hinaus. »Geh schon voraus und melde mich bei Seiner Eminenz. Ich komme sofort.«
Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er wartete, bis der Novize die Tür wieder geschlossen hatte, und wandte sich dann mit größter Dringlichkeit an Annas Eltern, die ihn mit erstaunten Augen ansahen.
»Dass der Erzbischof heute schon hier ist, ohne sich anzumelden, kann nichts Gutes bedeuten. Herr im Himmel – steh uns bei!«
Pater Urban schob seine Besucher zur Tür. »Ihr müsst sofort aufbrechen. Wartet draußen, bis ich weg bin. Dann schleicht euch aus dem Kloster, ohne dass man euch sieht. Geht am besten durch den Friedhof. Am Ende ist eine Pforte, die verschlossen ist. Hier habt ihr den Schlüssel. Lasst ihn einfach stecken.« Er nestelte einen Schlüssel von einem Bund an seinem Zingulum . »Ich schicke euch Anna nach, sobald es möglich ist. Geht jetzt, geht!«
II
A nna war durch den Gang hinaus zur Pforte gestürmt, die in den Kreuzgang des Klostergartens führte. Sie wollte zur Kirche, schließlich war sie als Messdiener eingeteilt. Sie wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht und beeilte sich, die Glocke zur Messe läutete schon. Da tauchte ein Schatten hinter einer Säule auf, eine Männerhand packte sie hart am Arm und hielt sie auf. Sie gehörte einem stämmigen jungen Mann mit lockigen roten Haaren in einem teuren, pelzverbrämten Mantel. Er riss Anna herum und fragte in unverschämtem Ton: »He, kleiner Mönch – wo finde ich den Prior ?«
Es dauerte einen Moment, bis Anna ihren ersten Schreck überwunden hatte. Sie versuchte, sich aus dem festen Griff zu winden.
»Wer will das wissen?«, fragte sie herausfordernd.
Der Mann ließ nicht los. »Kennst du mich nicht? Ich bin Gero von Hochstaden. Also?«
Anna boxte ihm gegen die Brust.
»Lasst mich los!«
Aber der Mann machte sich einen Spaß daraus, seine überlegenen Körperkräfte auszuspielen und die sich wie eine Katze wehrende Anna in den Schwitzkasten zu nehmen, bis ihre Nasen sich fast berührten. So nah hatte er sie an sich herangezogen, dass sie seinen heißen Atem unangenehm spürte, als er sie leise und bedrohlich fragte: »Wie heißt das Zauberwort, Mönchlein?«
Für einen kurzen Augenblick stellte Anna ihre wilden, aber ergebnislosen Befreiungsversuche ein. Gero von Hochstaden lockerte seinen eisernen Griff, und das war
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