Das Geheimnis der Mondsänger
erfüllt.
Aus dem Geschrei im Innern schloß ich, daß die beiden Männer von ihrer Gefangenschaft noch nichts bemerkt hatten. Ich ging weiter.
Wieder kam ich an eine Biegung mit einem Fenster, und wieder sah ich hinaus. Das Pflaster und die Mauer draußen schimmerten rötlich im Sonnenuntergang. Der Abend brach herein. Ich war froh darüber, denn die Dunkelheit hatte schon immer die Flüchtlinge beschützt. Bis jetzt hatte ich noch nicht daran gedacht, was ich anfangen würde, wenn ich Osokuns Festung entkam. Ich befand mich inmitten einer völlig fremden Landschaft. Aber ich zwang mich, nur den allernächsten Schritt ins Auge zu fassen. Denn wenn ich zu sehr über die Zukunft nachdachte, wurde meine Willenskraft gelähmt.
Vor mir stand eine Tür weit offen, und sie führte in den Hof hinaus. Ich vernahm immer noch die gedämpften Stimmen der Streitenden. Draußen hörte ich das schrille Blöken eines Kasi – aber keine menschliche Stimmen.
Ich huschte an die Tür und sah ins Freie, die Hand griffbereit am Schwert. Zu meiner Linken war ein überdachter Platz, in dem sich die Kasi befanden. Sie schienen erst vor kurzem ihr Futter bekommen zu haben, denn sie kauten eifrig.
Das Gebäude, aus dem ich gekommen war, warf einen langen Schatten nach vorn. Ich konnte das äußere Tor nicht erkennen, doch ich erreichte einen Platz im Schatten, wo ich mich zwischen zwei Futterballen versteckte.
Jetzt war mein Sichtfeld sehr viel größer. Zu meiner Rechten befand sich das verriegelte, breite Tor. Darüber war eine Art Käfig. Ich preßte mich noch flacher an die Futterballen, als ich eine Bewegung wahrnahm. Über dem Tor befand sich ein Wachtposten. Ich wartete auf seinen Ausruf oder auf den Bolzen von seiner Armbrust – auf irgendein Zeichen, daß er mich entdeckt hatte. Als jedoch die Sekunden vergingen und er sich nicht rührte, kam mir der Gedanke, daß er wahrscheinlich nur die Gegend vor dem Tor beobachtete und sich nicht darum kümmerte, was im Hof geschah.
Ich schlich mich an den Futterballen entlang hinter den Stall, wo mich der Posten nicht mehr sehen konnte. Obwohl jede Nervenfaser in mir zur Eile drängte, bewegte ich mich ganz langsam. Ich wollte mich nicht durch eine hastige Bewegung verraten. Im Vorbeigehen zählte ich die Kasi, um einen Hinweis auf die Größe der Festung zu bekommen. Es waren sieben Reittiere und vier Lasttiere da. Das deutete darauf hin, daß sich nur ein kleiner Teil der Truppe in der Festung befand. Und ich hatte den Eindruck, daß Osokun mit seinen Getreuen nicht mehr hier war.
Ich entdeckte noch zwei Postenstände, die hoch über dem Hof plaziert waren. Aber so genau ich auch hinsah, ich konnte keine Wachen darin entdecken. Dann duckte ich mich hinter eine brusthohe Mauer, denn ich hörte schwere Schritte näherkommen. Ein Mann mit dem Panzerhemd des Fußsoldaten zeigte sich. Aber er trug keinen Helm. Über den Schultern hatte er eine Stange mit zwei Wassereimern, die er in einen Steintrog am Kasistall entleerte.
Dann ging er mit den leeren Eimern zurück. Aber ich hatte in meinem Versteck neuen Mut geschöpft. Denn einen Moment lang hatte mich sein Wunschgedanke wie eine deutliche Botschaft erreicht. Die Furcht in ihm hatte der Entschlossenheit Platz gemacht. Das war der dritte günstige Zufall für mich.
Ich war überzeugt davon, daß er Theater spielte, als er so durch den Hof ging und seinen täglichen Pflichten nachkam. Er wartete auf den Augenblick, in dem er handeln konnte. Mit dem Joch über den Schultern schlenderte er dahin, und ich folgte ihm vorsichtig, denn er hatte das gleiche Ziel wie ich.
Weiter hinten im Hof befand sich ein Brunnen, und vom Hauptgebäude ragte ein Flügel so heraus, daß man den Eindruck hatte, das kostbare Wasser solle geschützt werden. Der Mann, den ich verfolgte, blieb nicht am Brunnen stehen. Er warf ein paar schnelle Blicke nach links und rechts, als er daran vorbeikam. Offensichtlich beruhigt, lief er auf die Tür zu, die in das Seitengebäude führte. Ich ließ ihm einen kleinen Vorsprung und folgte dann.
Es handelte sich um eine Mischung aus einem Arsenal und einem Vorratsraum. Waffenständer waren an den Wänden aufgereiht, und es roch nach Getreide und menschlichen Nahrungsmitteln. Hinter einem Vorratsstapel sah ich das Joch und die Eimer liegen. Die Angst und die Entschlossenheit, die zugleich von meinem Führer ausstrahlten, leiteten mich weiter. Ich kam an eine andere Tür, die halbversteckt hinter einem Stapel von
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