Das Geheimnis der Mondsänger
lange, bis ich mich überwand und das fettige Zeug hinunterwürgte.
Soviel wußte ich nun: Osokun hatte mich entführt, weil er hoffte, mich gegen Waffen und Informationen auszutauschen. Zweifellos, wollte er beides bei seinem Kampf um die Vorherrschaft verwenden. Die Kühnheit seiner Tat bedeutete entweder, daß er mächtige Unterstützung besaß, oder, daß er gehofft hatte, durch seinen blitzschnellen Streich die Obrigkeit zu überrumpeln. Sein Handeln grenzte so sehr an Wahnsinn, daß ich immer noch nicht glauben wollte, er meine es ernst. Und doch hatte ich in den letzten Stunden erlebt, daß er sämtliche Grenzen überschritt. Er hatte keine andere Möglichkeit mehr, als auf diesem Weg weiterzumachen.
Daß Kapitän Foss mich für den Preis freikaufen würde, den Osokun verlangte, war unmöglich. Eine der Hauptregeln unter den Handelsschiffern war zwar Treue den Schiffskameraden gegenüber, aber die Lydis, ihre Mannschaft und der ganze Ruf der Freien Handelsschiffer konnte nicht wegen eines einzigen Mannes aufs Spiel gesetzt werden. Foss konnte lediglich die Gesetzesmaschinerie von Yiktor in Gang setzen.
Ahnte er überhaupt, wo ich war? Was hatten die Entführer mit Laifarns gemacht? Wenn unser Antriebsingenieur entkommen war, wußte der Kapitän bereits, daß man mich entführt hatte, und konnte Gegenmaßnahmen ergreifen.
Aber ich durfte mich jetzt nicht auf vage Hoffnungen verlassen, sondern mußte selbst etwas unternehmen.
6
Mir blieb eine verzweifelte Methode, so sehr sie mich auch erschöpfen würde. Ich mußte meine Gedanken aussenden. Hier auf Yiktor konnte ich nicht damit rechnen, eine klare Botschaft zu empfangen oder weiterzugeben, denn die Gedankensuche zwischen verschiedenen Rassen ist sehr schwierig. Und so fing ich auch keine klaren Worte oder Gedanken auf, sondern hauptsächlich Gefühle. Ich spürte vor allem Angst. Manchmal war die Ausstrahlung so stark, daß ich dachte, diejenigen, von denen sie ausging, müßten sich in Gefahr befinden.
Hier eine Probe, dort eine Probe, und jede brachte mir die Gefühle eines anderen Festungsbewohners. Ich hob den Kopf und sah zu dem blassen Fensterschlitz hinüber, dann kroch ich näher, um nach draußen zu horchen. Aber ich hörte nichts. Es war Tag, und ein schmaler Sonnenstreifen zeichnete sich auf der gegenüberliegenden Mauer ab. Alles war still.
Wieder schloß ich die Augen und konzentrierte mich auf das Erforschen der fremden Gedanken. Ich wollte eine dieser Angstausstrahlungen festhalten, um die Quelle des Unbehagens zu analysieren. Die meisten waren zu weit entfernt, als daß ich sie hätte einfangen können. Aber dann fand ich eine ganz in meiner Nähe – vermutlich der Wachtposten vor meinem Gefängnis. Und ich durchforschte seine Gedanken mit aller Kraft.
Es war, als versuchte ich ein Band zu lesen, das nicht nur überbelichtet war, sondern obendrein fremdartige Schriftzeichen enthielt. Gefühle, ja, die konnte ich erkennen, denn die sind bei jeder Rasse die gleichen. Alle lebenden Geschöpfe kennen Furcht, Haß und Glück – obwohl die Ursachen oder Quellen für diese Gefühle ganz verschieden sein können. Und von diesen Gefühlen sind Haß und Furcht am leichtesten zu erkennen.
Die Furcht, die hier die Leute beherrschte, wuchs ständig, und sie war vermischt mit Ärger. Doch der Ärger war schwächer, von der Furcht überlagert.
Die Zähne in die Unterlippe gegraben, mühte ich mich ab, den Grund zu erkennen. Angst – vor etwas – jemand – noch nicht hier – ob er kam? Wenn ja – ihn loswerden – ihn – mich! Diese Erkenntnis kam so schlagartig, daß ich mich unwillkürlich duckte. Ich wußte nun ganz klar, daß meine Anwesenheit hier die Quelle der Furcht war. Osokun? Nein, ich konnte mir nicht vorstellen, daß er so radikal seine Meinung geändert hatte.
Ich forschte weiter. Gefangener – Gefahr. Nicht ich selbst war eine Gefahr, sondern meine Anwesenheit als Gefangener brachte dem Denker Gefahr. Vielleicht hatte Osokun das Gesetz so sehr übertreten, daß jene, die ihm halfen oder seinen Befehlen gehorchten, allen Grund zur Angst hatten.
Durfte ich es wagen, ihm einen Gegenvorschlag einzugeben? Angst, die zu weit getrieben wird, entfacht bei vielen Menschen Gewalttätigkeit. Wenn ich die Angst in seinem Innern irgendwie steigerte, konnte das zur Waffe gegen mich werden. Ich überlegte hin und her, während ich die Verbindung zu dem fremden Gehirn aufrechterhielt.
Schließlich entschied ich mich für etwas, das
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