Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
»Ei, ei, christliche Kinder sollen es sein? Wie heißen denn christliche Kinder?«
»Nun, sie heißen Christian!«
»Christian? Ein feiner Name. Zu fein für den da! Und wie weiter?«
Johannes schaute auf den Jungen und dann auf das Kreuz. »Rosenkreuz. Christian Rosenkreuz. Und das ist Maria.«
Bis dahin hatte der Chorherr nur schweigend zugehört und die Zeit genutzt, den Jungen mit seinen Blicken genüsslich zu entkleiden. In den Augen des Kirchenmannes stand überdeutlich, worauf er sich bereits freute. Myriam staunte über die Festigkeit, die der zierliche Mönch gegen die vierschrötigen Kerle an den Tag legte.
Jetzt wandte sich August von Virneburg dem Domini kaner zu. »Nun lass es mit der Posse ein Bewenden haben, Bruder Johannes. Wie ich schon sagte, kehr brav in dein Kloster zurück und vergrab dich in die gelehrten Schriften der Doctores, aber lass uns unser christlich Werk vollenden! Der Junge geht mit mir, das Mädchen kannst du meinetwegen haben.«
Myriam entging nicht der drohende Unterton in der Stimme des Kirchenmannes. Der mit der Wolfschnauze brummte wütend, weil ihm das Mädchen zu entgehen drohte, wenn der Handel zustande käme.
»Hör gut zu, Chorherr, du lässt mich jetzt mit den Kindern gehen!«
»Andernfalls?«, fragte August von Virneburg höhnisch.
»Wirst du mit deinen Spießgesellen brennen!«
»Ei, guter Mann, weshalb denn das?« Der Chorherr hielt sich den Bauch vor Lachen, auch seine Knechte fielen in die böse Heiterkeit ein.
»Wegen widernatürlicher Unzucht! Weiß du denn nicht, dass der Papst uns die heilige Inquisition übertragen hat? Wage es ja nicht, den Generalinquisitor von Straßburg anzugreifen oder sich ihm in den Weg zu stellen!« Dann fasste er die Spießgesellen scharf ins Auge. »In den Staub mit euch elenden Sündern!«
Die Mörder sanken wider Willen auf die Knie, und der Chorherr schien für einen Moment tatsächlich unschlüssig. Der Mönch hatte sie zwar überrumpelt, aber das würde nicht allzu lange halten, denn wer hinderte die Verbrecher daran, ihn zu erschlagen und hinterher zu behaupten, es wären die Juden gewesen? Indes genügte dem Dominikaner die Zeit der Verwirrung, sich mit den Kindern aus dem Staub zu machen. Den Jungen nahm er auf den Arm und hielt ihm die Augen zu, als sie das schauerliche Spalier der Scheiterhaufen mit ihren brennenden oder in Asche verwandelten Leibern passierten. »Schau nicht hin, Mädchen, schau nicht hin. Ihre Seelen sind dennoch im Himmel«, rief er ihr eindringlich zu.
Sie hatten gerade die Ecke des Münsters erreicht, da hörte er trotz des Orkans aus Schreien, Weinen und Klagen die Anweisung des Chorherrn, das Mönchlein zu erschlagen, ihm das feine Knäblein aber zu bringen. Johannes wich gerade noch rechtzeitig einer Dachlawine aus, die wie der Zorn Gottes vom Münster heruntergesaust kam, und beschleunigte dann seinen Schritt. Aber die zwei Spießgesellen schlossen bedrohlich schnell auf. In seiner Not rief er fünf Männer zu sich, die gerade dabei waren, tote Juden ihrer Kleidung und ihres Schmuckes zu berauben, und befahl ihnen im Namen des Herrn und der Heiligen Inquisition, seine Verfolger zu ergreifen und ordentlich durchzuprügeln. »Alles, was sich in ihren Taschen findet, gehört euch«, stachelte er den Ehrgeiz der zwielichtigen Gestalten an. Dann kam ihm ein böser Einfall, und auch wenn er Gott dafür später unzählige Male um Verzeihung bitten sollte, konnte er sich dessen nicht enthalten. Zu gewaltig war sein Zorn. »Es sind Juden, die sich für Christen ausge ben!«, behauptete er kühl, bedenkend, dass sich die Schläger des Chorherrn mit Kleidung und Schmuck des Rabbiners reichlich versorgt hatten. Sie sahen, was Jacken, Pelze und Schmuck betraf, tatsächlich wie halbe Juden aus.
»Juden, die sich für Christen ausgeben?«, fragte der Anführer mit grollender Stimme.
»Ja, Juden, die sich für Christen ausgeben!«, bestätigte Johannes mit wilder Freude. Am liebsten hätte er sich die Hände gerieben. »Macht mit ihnen, was ihr wollt, aber lasst diesen Frevel nicht durchgehen«, rief er ihnen zu, bevor er sie segnete. »Ego te absolvo a peccatis tuis in nomine patris et filii et spiritus sancti.« Für die Sünden, die sie gleich begehen würden, belohnt und sogar noch von ihnen losgesprochen zu werden, gefiel den Plünderern.
Wie im Taumel erreichte Myriam an der Hand des Dominikaners das Kloster der Predigerbrüder, das dem Heiligen Nikolaus geweiht war. Ihr geliebtes Straßburg
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