Das Geheimnis der Salzschwestern
flehte Dee.
Lass sie nicht gehen, drängte eine Stimme in Claires Innerem. Aber wenn sie Dee hierbleiben ließ, dann würde das Mädchen Hilfe brauchen. Claire war die letzte Frau auf Erden, auf die Dee gern hören wollte, aber das konnte man doch sicher ändern. Claire wusste, wie das Salz den Verstand eines Menschen trüben und böse Hintergedanken vertreiben konnte. Sie nahm Dee bei der Hand und umschlang ihre Finger nur noch fester, als Dee sich loszureißen versuchte.
»Na, ich will dir doch bloß helfen«, sagte sie und zeigte beim Lächeln die Zähne, so wie früher, wenn sie ihre Clique aus dem Country Club zu irgendetwas genötigt hatte. »Du brauchst jetzt Beistand, eine Seele, der du vertrauen kannst. Zum Glück kenne ich da genau die Richtige.«
Claire hielt noch immer Dees Handgelenk umschlungen, führte sie aus der Scheune, schloss das Tor hinter sich und verrichtete dabei jede Bewegung langsam und behutsam, so als wolle sie ein scheues Pferd nicht erschrecken.
»Komm mit«, forderte sie Dee auf und ging zur Straße. Immerhin war doch Ostern, dachte Claire, während ihr Herz plötzlich besonders heftig schlug, die Zeit für milde Gaben, und nun hatte sie endlich ein Geschenk für die Jungfrau, das diese unmöglich ablehnen konnte.
K APITEL 20
D ee war zwar nie Klassenbeste oder Ähnliches gewesen, aber dumm war sie auch nicht. Als Claire sie wegen Icicle schalt, wusste sie, was das eigentlich hieß. Sie sollte die Finger von Claires Pferd, ihrem Mann und allem anderen in ihrem Leben lassen.
Aber das war einfacher gesagt als getan. Immerhin lebte sie jetzt mit Claire unter einem Dach, und ihre Neugier war größer als je zuvor. Wenn Claire draußen arbeitete oder mit Icicle ausritt, schlich sich Dee manchmal in ihr Zimmer und sah sich dort ein wenig um. Am Anfang stand sie einfach nur da und sog die Luft im Raum ein, mit der Zeit schnüffelte sie dann aber immer dreister herum, machte den Schrank auf und sah Claires alte Kleider durch, befühlte die Haarbürste auf ihrer Kommode und sah nach, was für eine Hautcreme Claire gern benutzte. Als sie in der obersten Schublade des Sekretärs Claires diamantbesetzten Ehering entdeckte, versuchte sie, ihn sich auf den Finger zu stecken, kam aber nur bis zum Knöchel. Sie seufzte frustriert und legte das Schmuckstück wieder zurück. Es gab noch andere Sachen, die sie auch gerne unter die Lupe genommen hätte – wie zum Beispiel ein verblichenes Tagebuch mit kaputtem Schloss, einen Stapel Fotos von Claire aus der Highschoolzeit oder ein paar Geburtstagskarten –, sie hatte aber zu viel Angst, erwischt zu werden.
Durch ihr Zusammenleben merkte Dee auch, dass Claire gar nicht der feuerspeiende Drache aus ihrer Vorstellung war. Dee stellte erstaunt fest, dass Claire in Jos Gegenwart höflich und beinahe bescheiden auftrat. Und Jo, die in der Stadt nie mehr als drei Worte hintereinander sprach, wurde hier zur tyrannischen Nervensäge, so dass Dee ihr manchmal am liebsten ein Pflaster über den Mund geklebt hätte, nur um ab und zu fünf Minuten Ruhe und Frieden zu haben. Und dann spielte auch noch Dees Körper verrückt. Ihre Brüste fühlten sich an wie zwei prall gefüllte Luftballons. Es gab Tage, da hatte sie das Gefühl, in den Beinen die Hälfte des weltweiten Wasservorkommens mit sich herumzutragen, und selbst ihre Gesichtsform veränderte sich.
Ihr Vater hatte sie ein Flittchen genannt und fand, dass sie nur bekam, was sie verdiente. Whit war sogar noch weiter gegangen und hatte ihr den Teufel an den Hals gewünscht, aber wenn das Salz sie veranlasste, ihre Einstellung Claire gegenüber zu ändern, dann gab es für sie vielleicht auch noch Hoffnung. Womöglich hatte sie bis zur Geburt alle schlechten Eigenschaften abgelegt und war so rein und glänzend wie Joannas edle Salzflocken.
Dee schloss die Schublade und durchquerte das Zimmer mit schmerzenden Knien. Es war Ostern, aber davon war in der Stille auf dem Gut nichts zu merken. Claire hatte irgendetwas gebacken, das käsig und lecker roch, das war jedoch das einzig Festliche. Dee lauschte, aber das Haus war wirklich völlig leer. Am besten ging sie nach draußen und sah nach Icicle, überlegte sie. Damit wäre sie wenigstens in guter Gesellschaft.
»Ich mache einen Spaziergang!«, rief sie laut, als ob es irgendwen interessieren würde. Aber niemand antwortete. Selbst die Uhr tickte nicht.
In der Salzscheune fühlte sich Dee am wohlsten. Die trockene Luft dort entspannte ihren Rücken und
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