Das Geheimnis der Salzschwestern
hatte sie noch ein paar Dollar auf einem eigenen Konto angespart, von dem Whit nichts wusste, aber das war wirklich ein läppischer Betrag. Ihr Blick fiel auf ihre nackten Hände. Natürlich! Oben in der Schublade lagen doch Idas Ringe. Vielleicht konnte sie die verkaufen, wenn sie das überhaupt wagte. Nichts würde ihr ein größeres Vergnügen bereiten. Und außerdem hatte Ida ein gutes Geschäft immer zu schätzen gewusst, selbst wenn sie dabei letztendlich draufzahlen musste.
Claire nahm sich noch ein Plätzchen. Sie konnte nicht fassen, wie wenig von ihr selbst in ihrem Leben zu finden war, aber das war ihr eigener Fehler. Sie hatte ihre Tage mit dem müßigen Geplapper von Freundinnen gefüllt, die ihr gar nicht wichtig waren, mit Aufgaben, die sie nur übernahm, um beschäftigt zu sein, und mit einem Ehemann, den sie nie wirklich geliebt hatte. Sie erschauderte in der warmen Küche und aß ihren zweiten Keks vollends auf. Hier draußen schlief sie so tief und fest, dass sie nicht einmal träumte, sie wachte am nächsten Tag aber trotzdem immer mit steifen Wangen und Schmerzen im Nacken auf, als hätte sie die ganze Nacht lang die Tränen zurückgehalten. Jo war morgens meistens schon weg, wenn Claire nach unten kam, und wenn sie doch gelegentlich zusammen aßen, schwiegen sie sich mit solcher Beharrlichkeit an, dass auf dem Tisch zwischen ihnen Mönche meditieren könnten.
»Claire?« Jo trat in die Küche, und Claire blinzelte. »Alles in Ordnung?«
Jo goss sich eine Tasse Kaffee ein und pustete darauf. Claire knurrte nur und kehrte langsam wieder in die Gegenwart zurück. Der Ofen summte erneut, und sie zog sich ein paar Topfhandschuhe über.
»Ich hab einen Auflauf gemacht«, erklärte sie, öffnete die Ofenklappe und dachte diesmal daran, das Gesicht abzuwenden.
Jo machte auf der Arbeitsplatte Platz für die heiße Schale. »Früher hast du doch nie gekocht.«
Claire zog die Handschuhe aus. Ohne das Joch des Ringes an ihrem Finger kam er ihr nackt vor. »Ich weiß auch nicht, was mich da plötzlich gepackt hat. Vielleicht liegt es an der ganzen körperlichen Arbeit, aber ich habe in letzter Zeit einen Bärenhunger.« Sie gab je eine große Portion Auflauf in zwei Schüsselchen und reichte eins davon Jo. »Was ich auch koche, hier draußen schmeckt es einfach lecker. Probier mal!« Claire kaute kurz und zögerte dann mit hochgezogenen Augenbrauen. Normalerweise aß sie alles ungewürzt, egal wie fade es schmeckte, aber jetzt griff sie nach der Salzschüssel und gab mit den Fingern ein paar der grauen Körnchen in die Schale. Wieder und wieder salzte sie ihren Auflauf nach und ignorierte dabei Jos verwirrten Gesichtsausdruck.
»Claire, was machst du denn da?« Ihre Schwester hörte sie jedoch kaum, als sie die Gabel zum Mund führte. Mama hatte ihr immer gesagt, eine Prise Salz würde ihr die Antwort auf jede noch so quälende Frage verraten, aber das hatte Claire nie verstanden, vielleicht hatte sie ihr Essen deshalb nie gesalzen. Jetzt hingegen begriff sie endlich, was ihre Mutter gemeint hatte. Man konnte sich gar nicht selbst anlügen, wenn man den Mund voller Salz hatte, denn es verstärkte alle Aromen im Leben – sauer und scharf, herzhaft und süß, bitter und faulig –, so dass sie viel zu laut ertönten, um ignoriert zu werden.
Eigentlich hatte Claire es doch für einen sehr klugen Schachzug gehalten, Whit zu heiraten und die feuchte Erde der Salt Creek Farm gegen das harte Turner-Holz einzutauschen. Sie musste an das getäfelte Esszimmer im Turner-Haus denken, aber in dieser Küche war alles anders. Hier gab es keine messerscharfen Kanten, keine polierten Oberflächen, nur die Spuren von Abnutzung und Verschleiß, Kratzer und Flecken, milchige Trübheit. Claire nahm noch etwas vom Auflauf und kaute den Bissen fünfmal, dann wieder fünfmal, zerkleinerte alles sorgfältig, bevor sie es herunterschluckte, und versuchte, nicht an das Bündel Sorgen zu denken, das über ihr hing wie überreife pralle Trauben – den Gedanken daran, dass Whit ihnen die Salt Creek Farm unter den Füßen wegziehen würde, dass Dee ein Kind bekommen würde, mit dem sie doch eigentlich schwanger sein sollte, und dass sie eines Tages in den Spiegel blicken und so gesichtslos wie die Jungfrau sein würde, weil Jo endlich ihre Haut eingefordert hatte. Und was könnte Claire dagegen einwenden, wenn sie Jo doch zustand? Immerhin hatte ihre Schwester sie gerettet – oder es zumindest versucht.
Jos Stimme durchbrach
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