Das Geheimnis der Salzschwestern
als Dee darauf nicht reagierte, fragte sie sich, ob das Mädchen wirklich so gleichgültig war oder einfach nur strohdumm. Sie zupfte an Icicles Mähne herum.
»Hast du dich eigentlich schon mal gefragt, woher ich das mit Whit und dir wusste?«, sagte Claire plötzlich, aber Dee hatte es mit ihrer Antwort nicht eilig. Vielleicht hatte das Mädchen ja auch vor, sich auf diese Art und Weise zu entschuldigen, überlegte Claire – durch Schweigen. Vielleicht versuchte Dee, alle negativen Gefühle hier einfach zu verleugnen. Und was käme dann dabei heraus, wurde negativer Kummer etwa zur Freude? Von Freude war Dee jedoch so weit entfernt wie die Salt Creek Farm vom Himmel. »Ich hab deinen Ohrring in unserem Auto gefunden«, fuhr Claire fort. »So eine billige Silberkreole. Ich hab sie weggeschmissen und Whit nichts gesagt, aber da war mir alles klar.«
Dee fasste sich ans Ohrläppchen. Es bereitete Claire Genugtuung, dass die Kleine hier draußen keinen eigenen Schmuck mehr hatte – seit Claire ihr das Silbermedaillon vom Hals gerissen hatte und es nun selbst trug. Natürlich hätte Dee es besser wissen und es gar nicht erst von Whit annehmen sollen. Claire konnte sich ganz genau vorstellen, wie er es aus der Tasche zog und zwischen Daumen und Zeigefinger vor Dees Nase baumeln ließ, als würde er sie damit locken, eine Einstiegsdroge zu nehmen.
Dee wurde rot. »Sie müssen wissen, dass ich ihn nicht angemacht habe«, flüsterte sie. »Er hat damit angefangen. Das müssen Sie mir glauben.« Langsam hielt sie auf das Scheunentor zu. Sie wollte jetzt nur noch hier weg, aber Claire war noch nicht fertig. Sie streckte die Hand aus, die Finger abgespreizt wie Tentakel.
»Was hast du dir dabei nur gedacht? Er ist doppelt so alt wie du und verheiratet. War dir das so egal? Außerdem war er doch wirklich eine Nummer zu groß für dich. Mein Gott, ich hab ihn dabei erwischt, wie er dich erwürgen wollte!«
Dee presste die Lippen aufeinander und zupfte an der Nagelhaut eines Fingers herum. »Das hat er doch gar nicht so gemeint. Er war nur überrascht. Wegen dem Baby und so.«
Claire verengte die Augen zu Schlitzen. »Soll das ein Witz sein? Bist du wirklich so naiv? Eins weiß ich nämlich ganz genau – Whit meint immer alles ernst.«
Dee schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was Sie vorhaben, aber das wird nicht funktionieren. Wenn Whit sein Kind erst sieht, dann wird er mich auch zurückwollen. Das weiß ich. Und er hat gar nicht versucht, mich umzubringen. Er hat es nur mit der Angst zu tun bekommen, das war alles.« Sie stand auf und wickelte sich fester in die Strickjacke. »Bis dahin lassen Sie mich am besten zufrieden, dann lasse ich Sie auch in Ruhe.«
Sie versuchte, an Claire vorbeizugehen, die aber streckte die Hand aus, packte Dee am Oberarm und grub ihr die Finger ins Fleisch. »Dee, an deiner Stelle würde ich hier nicht so fröhlich Forderungen stellen. Heute gibt es nämlich kein Frauenhaus der Temperenzler mehr, wo du Unterschlupf finden könntest. Und ich bezweifle sehr, dass irgendjemand anders in dieser Stadt Whits Zorn oder den deines Vaters riskieren und dir ein Bett und jeden Abend einen Teller warmes Essen anbieten würde. Du hast uns oder niemanden.« Dee machte sich los und starrte Claire an. »Im wievielten Monat bist du?«, fragte der Rotschopf und deutete mit dem Kinn auf Dees Bauch.
Dee schlang die Arme um ihren Körper, als wolle sie ein Geheimnis verbergen, dafür war es Claires Meinung nach aber ein bisschen zu spät. »Im sechsten«, flüsterte sie.
Claire entfuhr ein Keuchen. »Ist das dein Ernst?« Sie wandte sich von Dee ab, rechnete im Kopf kurz nach und war über das Resultat ganz und gar nicht glücklich. »Und was hast du jetzt vor?«
Dees Lippe zitterte. »Das weiß ich ja auch nicht mehr.«
Claire sah durch das offene Scheunentor hinaus zu den erst vor kurzem gefluteten Verdunstungsbecken und dachte an ihre ungeborenen Babys. Ihr war es nie vergönnt gewesen, eines von ihnen im Arm zu halten. Durch Dees Kind würde sie wenigstens so etwas Ähnliches wie Mutterfreuden erleben können. Aber wenn Dee nun die Marsch verließ, dann würde damit ein weiterer Säugling dahingehen, den Claire niemals liebkosen durfte.
Trotzdem, die Salt Creek Farm war ein gefährlicher Ort für ein Kind, und das in mehr als nur einer Hinsicht. Claire dachte an die kalten Herzen der Knaben in den Gräbern hinter den Salzbassins, wo auch ihr eigener Bruder ruhte.
»Was soll ich denn nur tun?«,
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