Das Geheimnis der Schnallenschuhe
Näheres über den jungen Mann, mit dem Miss Nevill verlobt ist? Er heißt Carter, wie ich höre, Frank Carter.»
«Morley hat nicht viel von ihm gehalten», sagte Reilly. «Er hat der Nevill zugeredet, ihm den Laufpass zu geben.»
«Das könnte Carter gegen ihn aufgebracht haben?»
«Hat ihn wahrscheinlich furchtbar gewurmt», pflichtete Reilly ihm vergnügt bei. Er hielt einen Augenblick inne und fragte dann: «Verzeihen Sie: Ist es eigentlich ein Selbstmord, den Sie hier untersuchen – oder ein Mord?»
«Falls es ein Mord wäre – würden Sie dann irgendwelche Vermutungen haben?», fragte Japp scharf.
«Nein. Ich möchte gern, dass Georgina ihn begangen hätte! Eine von diesen humorlosen Frauen, die von der Feindschaft gegen den Alkohol besessen sind. Aber ich fürchte, Georgina ist viel zu moralisch für einen Mord. Natürlich hätte auch ich mit Leichtigkeit in den oberen Stock hinauflaufen und den alten Knaben umbringen können – habe ich aber nicht. Ich kann mir überhaupt niemanden vorstellen, der den Wunsch gehabt haben sollte, Morley zu ermorden. Ebensowenig kann ich mir allerdings vorstellen, dass er sich selbst umbrachte.»
In verändertem Ton fügte er hinzu: «In Wirklichkeit tut mir die ganze Geschichte sehr Leid. Sie müssen mich nicht nach meinen Worten beurteilen. Das ist alles Nervosität, wissen Sie. Ich habe den alten Morley recht gern gehabt und werde ihn sehr vermissen.»
Japp legte den Telefonhörer auf und wandte sich mit ernstem Gesicht Poirot zu: «Mr Amberiotis ‹fühlt sich nicht wohl und möchte heute Nachmittag niemanden empfangen›. Mich wird er aber doch empfangen müssen – und entwischen lasse ich ihn auch nicht! Ich habe schon einen Mann ins Savoy geschickt, der ihn beschatten soll, falls er durchzugehen versucht.»
«Sie glauben, dass Amberiotis Morley erschossen hat?»
«Ich weiß nicht. Aber Amberiotis ist immerhin der letzte gewesen, der Morley lebend gesehen hat. Und er war ein neuer Patient. Nach seinen Angaben war Morley gesund und munter, als er ihn um zwölf Uhr fünfundzwanzig verließ. Das kann wahr sein oder auch nicht. Wenn Morley um diese Zeit wirklich noch in normaler Verfassung war, müssen wir rekonstruieren, was danach geschehen ist. Ist während der nächsten fünf Minuten jemand zu ihm hereingekommen? Carter zum Beispiel? Oder Reilly? Was hat sich abgespielt? Verlassen Sie sich drauf: Um halb eins oder spätestens fünf Minuten nach halb eins war Morley tot – sonst hätte er entweder geklingelt oder Miss Kirby mitteilen lassen, er könne sie nicht empfangen. Nein – entweder ist er umgebracht worden, oder jemand hat ihn im Sprechzimmer aufgesucht und ihm etwas gesagt, was seine ganze Lebenssituation verändert und ihn zum Selbstmord getrieben hat.»
Japp hielt inne.
«Ich werde jeden einzelnen der Patienten verhören, die er heute Vormittag empfangen hat. Es besteht immerhin die vage Möglichkeit, dass er zu einem von ihnen etwas gesagt hat, was uns auf die richtige Spur bringt.»
Er schaute auf die Uhr.
«Mr Alistair Blunt hat sich bereit erklärt, mir um vier Uhr fünfzehn ein paar Minuten zu opfern. Den werden wir also zuerst aufsuchen. Er wohnt am Chelsea Embankment. Dann können wir uns auf dem Weg zu Amberiotis diese Miss Sainsbury Seale vornehmen. Ich möchte gern möglichst viel Material sammeln, bevor wir unseren griechischen Freund in die Zange nehmen. Nachher möchte ich gern ein paar Worte mit dem Amerikaner sprechen, der ‹nach Mord aussah›, wie Sie sagen.»
Hercule Poirot schüttelte den Kopf.
«Nicht nach Mord – nach Zahnweh.»
«Egal – wir werden uns diesen Mr Raikes anschauen. Er hat sich – um es vorsichtig auszudrücken – sonderbar aufgeführt. Und dann werden wir dem Telegramm an Miss Nevill nachgehen und ihrer Tante und ihrem jungen Mann. Wir werden einfach allem und jedem nachgehen!»
Alistair Blunt hatte nie im Rampenlicht des öffentlichen Interesses gestanden. Vielleicht, weil er selbst ein sehr ruhiger und zurückhaltender Mensch war. Vielleicht, weil er viele Jahre hindurch eher die Rolle eines Prinzgemahls als die eines Königs gespielt hatte.
Rebecca Sanseverato, geborene Arnholt, war als eine enttäuschte Frau von fünfundvierzig Jahren nach London gekommen. Sowohl von väterlicher wie von mütterlicher Seite stammte sie aus den vornehmsten Kreisen der Hochfinanz. Ihre Mutter war die Erbin der europäischen Familie Rotherstein. Ihr Vater stand an der Spitze des großen amerikanischen
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