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Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Das Geheimnis der Schnallenschuhe

Titel: Das Geheimnis der Schnallenschuhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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empfing Poirot freundlich. Seit dem Tod ihres Bruders war ihr Gesicht jedoch noch grimmiger, ihre Haltung noch aufrechter, ihre allgemeine Einstellung zum Leben noch unnachgiebiger geworden. Sie trug schwer an dem Makel, mit dem das Ergebnis der Leichenschau die Berufsehre ihres Bruders befleckt hatte. Auf Poirots Fragen antwortete sie bereitwillig und sachverständig. Mr Morleys Papiere, soweit sie mit seiner Arbeit zusammenhingen, waren von Miss Nevill geordnet und seinem Nachfolger übergeben worden. Manche Patienten waren zu Mr Reilly übergewechselt, andere hatten den neuen Partner gewählt. Als sie ihre Auskünfte erteilt hatte, sagte sie: «Sie haben also diese Patientin von Henry gefunden – Miss Sainsbury Seale –, und auch sie ist ermordet worden.»
    Das ‹auch› klang herausfordernd. Sie sagte es mit besonderem Nachdruck.
    «Hat Ihr Bruder», fragte Poirot, «Miss Sainsbury Seale Ihnen gegenüber nie erwähnt?»
    «Nein, ich kann mich nicht erinnern. Wir haben gewöhnlich nicht viel über seine Arbeit gesprochen. Er war froh, sie vergessen zu können, wenn der Tag vorbei war. Manchmal war er sehr müde.»
    «Können Sie sich erinnern, von einer Patientin namens Chapman gehört zu haben?»
    «Chapman? Nein, ich glaube nicht. Bei allen diesen Dingen könnte Ihnen am ehesten Miss Nevill behilflich sein.»
    «Wo ist sie denn jetzt?»
    «Ich glaube, sie arbeitet bei einem Zahnarzt in Ramsgate.»
    «Sie hat also diesen jungen Mr Carter noch nicht geheiratet?»
    «Nein, und ich hoffe, dass auch in Zukunft nichts daraus wird. Ich mag den jungen Mann nicht, Mr Poirot, ich mag ihn wirklich nicht. Mit dem stimmt etwas nicht.»
    «Würden Sie es für möglich halten, dass er Ihren Bruder erschossen hat?», erkundigte sich Poirot.
    Miss Morley sagte langsam: «Ich habe das Gefühl, dass er vielleicht dazu fähig gewesen wäre – denn er ist sehr unbeherrscht. Aber ich sehe nicht ein, welchen Grund – übrigens auch welche Gelegenheit – er dafür gehabt haben könnte. Schließlich ist es Henry nicht gelungen, Gladys von ihm abzubringen. Sie hat weiter treu zu ihm gehalten.»
    «Glauben Sie, dass man ihn bestochen haben könnte?»
    «Bestochen? Meinen Bruder umzubringen? Das halte ich für einen phantastischen Gedanken!»
    In diesem Augenblick brachte ein nettes, dunkelhaariges Mädchen den Tee. Als es die Tür hinter sich schloss, erkundigte sich Poirot: «Dieses Mädchen war schon in London bei Ihnen, nicht wahr?»
    «Agnes? Ja, sie war unser Stubenmädchen. Ich habe die Köchin entlassen, und Agnes macht jetzt alles. Sie hat sich zu einer sehr netten kleinen Köchin entwickelt.»
    Poirot nickte. Er erinnerte sich der häuslichen Verhältnisse in der Queen Charlotte Street 58 noch sehr genau. Sie waren zur Zeit der Tragödie gründlich untersucht worden. Mr Morley und seine Schwester hatten ihre Wohnräume in den beiden oberen Stockwerken des Hauses. Das Souterrain war gänzlich abgeschlossen, mit Ausnahme eines schmalen Ganges, der zum Hinterhof führte; dort waren ein Sprachrohr und ein Aufzug zum obersten Stock angebracht, der die Lebensmittel und anderen Waren für den Haushalt hinaufbeförderte. Den einzigen Zugang zum Haus bildete daher die vordere Eingangstür, die von Alfred bedient wurde. Dies hatte der Polizei einen sicheren Anhaltspunkt dafür geboten, dass an dem betreffenden Vormittag kein Außenseiter das Haus hatte betreten können.
    Köchin und Stubenmädchen waren schon jahrelang bei den Morleys und hatten einen guten Leumund. Obwohl es also theoretisch möglich gewesen wäre, dass sich eine von den beiden in den zweiten Stock hinuntergeschlichen und dort den Hausherrn erschossen hatte, war doch diese Annahme niemals ernstlich in Erwägung gezogen worden. Beim Verhör hatten beide keinen übermäßig ängstlichen oder aufgeregten Eindruck gemacht, und es bestand im Ganzen keinerlei Anlass, sie mit dem Tod Morleys in Verbindung zu bringen.
    Aber als Poirot beim Fortgehen von Agnes Hut und Stock überreicht bekam, wandte sie sich mit auffallender Nervosität an ihn mit der Frage: «Ist – ist etwas Neues herausgekommen über den Tod von Mr Morley?»
    Poirot sah sie aufmerksam an: «Nichts Neues ist bekannt geworden», antwortete er.
    «Glaubt man immer noch, dass er sich umgebracht hat, weil ihm ein Versehen mit dem Mittel passiert ist?»
    «Ja. Warum fragen Sie?»
    Agnes strich sich verlegen über die Schürze. Sie wandte das Gesicht zur Seite und stotterte undeutlich: «Miss Morley glaubt

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