Das Geheimnis der Schnallenschuhe
wackelte. «Was zum Teufel», fragte er, «hat Sie auf den Gedanken gebracht?»
«Mein lieber Japp, ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie sprechen.»
Langsam und nachdrücklich sagte Japp: «Was hat Sie auf den Gedanken gebracht, die Leiche sei nicht die von Miss Sainsbury Seale?»
«Es war das Gesicht, das man so zugerichtet hat. Warum sollte es notwendig gewesen sein, einer toten Frau das anzutun?», sagte Poirot leise.
«Ich hoffe nur, der alte Morley ist an einem Ort, wo er davon erfährt. Wissen Sie, es ist sehr gut möglich, dass er mit Vorbedacht aus dem Weg geräumt worden ist – damit er keine Aussage machen konnte!», erklärte Japp unmutig.
«Es wäre natürlich weit besser, wenn er selbst als Zeuge hätte auftreten können.»
«Leatheran genügt auch, Morleys Nachfolger. Er ist ein tüchtiger, fähiger Mann, der einen guten Eindruck macht, und das Beweismaterial ist nicht anzuzweifeln.»
Die Abendblätter des folgenden Tages enthielten eine sensationelle Nachricht: Die in einer Wohnung am Battersea Park aufgefundene Frauenleiche, von der angenommen worden war, es sei die von Miss Sainsbury Seale, war einwandfrei als die von Mrs Albert Chapman identifiziert worden. Zahnarzt Leatheran, Queen Charlotte Street 58, hatte sie auf Grund des Gebisses, dessen genaue Einzelheiten in der Kartei seines verstorbenen Vorgängers Morley verzeichnet waren, mit Bestimmtheit als Mrs Albert Chapman erkannt.
Die Leiche war mit den Sachen von Miss Sainsbury Seale bekleidet gewesen, und Miss Sainsbury Seales Handtasche hatte daneben gelegen. Wo aber befand sich Miss Sainsbury Seale?
5
A ls sie die Totenschau verließen, sagte Japp triumphierend zu Poirot: «Saubere Arbeit, das! Hat die Leute vollkommen verblüfft!»
Poirot nickte.
«Sie, Poirot, sind als erster draufgekommen», lobte Japp. «Aber wissen Sie, ich habe auch meine Zweifel gehabt wegen der Leiche. Schließlich schlägt man einem toten Menschen nicht ohne triftigen Grund das Gesicht kaputt. Und der einzige triftige Grund konnte sein, dass man die Identität verschleiern wollte.» Er fügte großmütig hinzu: «Aber ich wäre nicht so schnell daraufgekommen, dass es gerade die andere Frau war.»
Poirot lächelte.
«Und doch, lieber Freund, waren die beiden Frauen einander äußerlich gar nicht so unähnlich. Mrs Chapman war eine fesche, gut aussehende Person, stark geschminkt und elegant angezogen. Miss Sainsbury Seale war nachlässig gekleidet und hat Lippenstift und Rouge nur vom Hörensagen gekannt. Aber in den wesentlichen Punkten bestand Übereinstimmung zwischen den beiden Frauen. Beide waren in den Vierzigern, beide hatten ungefähr die gleiche Größe und Figur. Beide besaßen angegrautes Haar, das sie blond färbten.»
«Ja, natürlich, da haben Sie Recht. Eines müssen wir zugeben – nämlich, dass die schöne Mabelle uns beide mordsmäßig reingelegt hat. Ich hätte schwören mögen, dass sie das war, wofür sie sich ausgab.»
«Aber lieber Freund, sie war wirklich das, wofür sie sich ausgegeben hat. Wir kennen doch ihre ganze Vergangenheit.»
«Wir haben nicht gewusst, dass sie imstande war, einen Mord zu begehen – und es sieht doch ganz danach aus. Nicht Sylvia hat Mabelle umgebracht, sondern Mabelle Sylvia.»
Hercule Poirot wiegte kummervoll den Kopf. Er konnte sich noch immer nicht mit der Vorstellung abfinden, dass Mabelle Sainsbury Seale eine Mörderin sein sollte. Und doch klang ihm Mr Barnes’ leise, ironische Stimme im Ohr: ‹Sorgen Sie dafür, dass auf die achtbaren Leute aufgepasst wird…›
Mabelle Sainsbury Seale war äußerst achtbar gewesen.
Mit Nachdruck schloss Japp: «Ich werde diesen Fall bis zum bitteren Ende verfolgen, Poirot. Dieses Frauenzimmer wird mich nicht mehr reinlegen.»
Am nächsten Tag rief Japp an. Seine Stimme klang sonderbar: «Poirot, wollen Sie das Neueste hören? Es ist aus, mein Lieber. Aus!»
«Pardon? Die Verbindung scheint nicht gut zu sein. Ich habe nicht ganz verstanden.»
«Es ist aus, alter Freund. A-U-S. Wir können einpacken! Uns hinsetzen und die Daumen drehen!»
Seine Stimme klang jetzt unverkennbar erbittert.
«Was ist aus?»
«Unser ganzer lausiger, verdammter Fall! Die Suche nach der vermissten Person! Das ganze Drum und Dran!»
«Aber ich verstehe immer noch nicht…»
«Also hören Sie zu, und zwar genau, denn ich kann keine Namen nennen. Sie wissen, dass wir überall nach – nach dieser Miss… suchen, und jetzt ist die ganze Aktion abgeblasen. Die Jagdhunde
Weitere Kostenlose Bücher