Das Geheimnis der Schnallenschuhe
junger Kerl. Hat ein bisschen zu viel von dieser neuen, hochgestochenen Ausbildung genossen, aber da ist nichts zu machen – das ist jetzt modern.
Nun, Beddas hatte gleich das Gefühl, wir seien diesmal auf dem richtigen Dampfer. Erstens ist diese Mrs Chapman seit über einem Monat von niemandem im Haus gesehen worden. Sie ist abgereist, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Das ist doch sonderbar. Überhaupt ist alles sonderbar, was Beddas über Mr und Mrs Chapman erfahren konnte. So entschloss er sich, die Wohnung mal näher anzuschauen. Wir stellten einen Haussuchungsbefehl aus und besorgten uns vom Geschäftsführer einen Schlüssel. Fanden zuerst nichts Interessantes, außer im Badezimmer. Dort war irgendeine eilige Säuberung vorgenommen worden. Auf dem Linoleum war eine Blutspur – in einer Ecke, wo man sie beim Aufwischen übersehen hatte. Danach ging es nur noch darum, die Leiche zu finden. Mrs Chapman konnte kein Gepäck mitgenommen haben, denn dann hätte der Portier davon gewusst. Deshalb musste die Leiche noch in der Wohnung sein. Die Pelztruhe hatten wir rasch aufgespürt – luftdicht verschlossen, verstehen Sie –, gerade das richtige Versteck. Die Schlüssel lagen in einer Schublade des Toilettentisches. Die Truhe wurde geöffnet – und da war sie, unsere verschwundene Dame!»
«Und diese Mrs Chapman?», fragte Poirot.
«Sehr richtig! Wer ist Sylvia – so heißt sie nämlich –, und wo ist Sylvia? Eines steht fest: Sylvia oder ihre Freunde haben die Seale umgebracht und in die Truhe gesteckt.»
Poirot nickte und fragte: «Aber warum hat man ihr das Gesicht so ruiniert? Das war nicht hübsch.»
«Das glaube ich, dass das nicht hübsch war! Und was das ‹Warum› angeht, kann man wohl nur Vermutungen anstellen. Vielleicht aus bloßer Wut. Oder vielleicht in der Absicht, die Identifizierung der Leiche unmöglich zu machen.»
Poirot runzelte die Stirn.
«Aber es hat sie nicht unmöglich gemacht.»
«Nein, weil wir nicht nur eine sehr genaue Beschreibung der Kleider hatten, die Mabelle Sainsbury Seale bei ihrem Verschwinden trug, sondern weil auch ihre Handtasche mit in die Pelztruhe gestopft worden ist, in der sich ein alter Briefumschlag befand, der an sie adressiert war.»
Poirot setzte sich auf und sagte: «Aber das ist doch widersinnig!»
«Gewiss ist es das. Ich nehme an, es war ein Versehen.»
«Ja – vielleicht ein Versehen. Aber…» Er stand auf. «Sie haben die Wohnung durchsucht?»
«Ziemlich gründlich. Wir haben keine aufschlussreichen Hinweise gefunden.»
«Ich möchte Mrs Chapmans Schlafzimmer sehen.»
«Dann kommen Sie mit.»
Das Schlafzimmer wies keinerlei Anzeichen einer hastigen Flucht auf. Es war ordentlich und gut aufgeräumt. Das Bett war unbenützt, aber für die Nacht hergerichtet. Auf allem lag eine dicke Staubschicht.
«Keine Fingerabdrücke, soweit wir feststellen konnten. In der Küche haben wir ein paar gefunden, aber ich erwarte, dass sie von dem Mädchen stammen werden», erläuterte Japp.
«Das lässt also darauf schließen, dass die ganze Wohnung nach dem Mord sehr sorgfältig gesäubert worden ist?»
«Ja.»
Poirot ließ den Blick langsam durchs Zimmer schweifen. Es war, wie das Wohnzimmer, modern eingerichtet, und zwar – diesen Eindruck hatte er – von einem Menschen mit mäßigem Einkommen. Die Gegenstände darin waren nicht billig, aber auch nicht übertrieben kostspielig. Sie sahen nach etwas aus, waren aber nicht erstklassig. Die vorherrschende Farbe war Rosarot. Er schaute in den eingebauten Garderobenschrank und befühlte die Kleider – elegante Kleider, aber wiederum nicht von erster Qualität. Sein Blick fiel auf die Schuhe; sie gehörten überwiegend zur Kategorie der Sandalen, die augenblicklich in Mode war, und manche besaßen turmhohe Korksohlen. Er nahm einen Schuh in die Hand, vermerkte die Tatsache, dass Mrs Chapman Größe fünf trug, und stellte ihn wieder hin. In einem anderen Schrank fand er einen Haufen Pelze, die man offenbar achtlos hineingeworfen hatte.
«Das stammt aus der Pelztruhe», sagte Japp.
Poirot nickte. Er strich über einen grauen Eichhörnchenmantel und meinte anerkennend: «Erstklassige Felle.» Dann ging er ins Badezimmer. Dort gab es Schönheitsmittel in verschwenderischer Fülle. Poirot betrachtete sie interessiert. Puder, Rouge, Tagescreme, Nachtcreme, Pflegemasken, zwei verschiedene Haarfärbemittel. Japp sagte: «Keine natürliche Blondine, wie Sie sehen.»
Poirot murmelte: «Mit vierzig, mon ami,
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