Das Geheimnis Der Schönen Toten
endlich nach Hause gefunden und sich zufrieden und behaglich in einem Leben eingerichtet hat, wie er es zuvor nicht gekannt hatte, weder in seinem Handwerk, seinem Haus, seiner Ehe, noch in seiner Gemeinde, nahmen Sulien gefangen. Cadfael, der an der Biegung der Buchsbaumhecke stehengeblieben war und beide mit einem aufmerksamen, klugen Blick betrachtete, sah Ruald kurz so, wie Sulien ihn sah, als einen Mann, der in dem sicheren Bewußtsein lebte, die richtige Wahl getroffen zu haben, und seine unverfälschte Freude auf alle ausstrahlen ließ, die in seine Nähe kamen. Für jemanden, der nichts von einer Bedrohung oder einem Schatten wußte, die über diesem Mann schwebten, mußte er wie jemand erscheinen, der im Besitz des vollkommenen Glücks war. Und die wahre Offenbarung war, daß es sich tatsächlich so verhielt.
Ein Wunder!
»Und du?« sagte Sulien, der sein Gegenüber immer noch anstarrte und sich an frühere Zeiten erinnerte. »Wie geht es dir? Bist du zufrieden? Aber ich sehe dir an, daß du es bist!«
»Mir fehlt es an nichts«, sagte Ruald. »Mir geht es sehr gut, besser, als ich es verdiene.« Er ergriff den jungen Mann am Ärmel, worauf dieses ungleiche Paar der Kirche zustrebte. Cadfael folgte ihnen, verlangsamte aber seine Schritte, bis sie außer Hörweite waren. Als sie so dahingingen, sprach Ruald offenbar munter von alltäglichen Dingen, von Bruder zu Bruder. Er wußte von Suliens Flucht aus Ramsey, wie inzwischen das ganze Kloster, ahnte aber offenkundig noch nichts von dem erschütterten Glauben des Jungen an seine Berufung. Und ebenso deutlich war ihm anzusehen, daß er nicht vorhatte, ein Wort über den Verdacht und die mögliche Gefahr verlauten zu lassen, die über seinem Kopf schwebten. Die Rückansicht der beiden Männer, elastische, federnde Jugend und geduldig und gemächlich dahintrottendes mittleres Lebensalter, die Schulter an Schulter dahinschritten, gemahnte an Vater und Sohn auf dem Weg zur gemeinsamen Arbeit, und wie es einem Vater eigen ist, wollte der ältere Mann nicht, daß irgendein Teil seines überschatteten Schicksals den hellen Horizont des Glaubens verdüsterte, der seinen Sohn lockte.
»Ramsey wird zurückerobert werden«, sagte Ruald mit Überzeugung. »Das Böse wird daraus vertrieben werden, obwohl wir möglicherweise viel Geduld beweisen müssen.
Ich habe für deinen Abt und deine Brüder gebetet.«
»Das habe ich auch«, sagte Sulien traurig, »auf dem ganzen Weg hierher. Ich habe Glück, diesem Schrecken entronnen zu sein. Aber für die armen Leute dort in den Dörfern ist es schlimmer, denn sie können nirgends Schutz suchen.«
»Für die beten wir auch. Es wird eine Rückkehr geben und eine Abrechnung.«
Der Schatten des südlichen Vorbaus schloß sich über ihnen, und sie blieben unentschlossen stehen, um auseinanderzugehen, Ruald zu seinem Kirchenstuhl und Sulien zu seinem unbedeutenden Platz unter den Novizen, als Ruald endlich sprach. Seine Stimme hörte sich immer noch gleichmütig und weich an, doch aus einer tieferen Quelle des Gefühls in ihm gespeist, hatte sie einen entfernten, hallenden Ton angenommen wie eine in der Ferne läutende Glocke.
»Hast du je etwas von Generys gehört, nachdem sie weggegangen war? Oder weißt du, ob ein anderer etwas gehört hat?«
»Nein, kein Wort«, sagte Sulien überrascht und zitternd.
»Nein, ich auch nicht. Ich hätte es nicht verdient, doch sie hätten es mir aus Liebenswürdigkeit verraten, wenn etwas über sie bekannt geworden wäre. Sie mochte dich, seit du ein Kleinkind warst, und ich dachte, vielleicht... ich würde liebend gern wissen, daß sie wohlaufist.«
Sulien stand einen langen Augenblick stumm und mit gesenktem Blick da. Dann sagte er mit sehr leiser Stimme:
»Das würde ich auch, und Gott allein weiß, wie gern!«
5. Kapitel
Es gefiel Bruder Jerome ganz und gar nicht, daß im Kloster etwas vorging, worüber er selbst auch nur andeutungsweise in Unwissenheit gehalten wurde, und er spürte, daß in der Angelegenheit des aus Ramsey geflüchteten Novizen bei weitem nicht alles offengelegt worden war. Zwar hatte Abt Radulfus im Ordenskapitel eine deutliche Erklärung abgegeben, was das Schicksal von Ramsey und den Schrecken in den Fens betraf, und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dem jungen Bruder Sulien, der die Neuigkeit überbracht und hier Zuflucht gesucht hatte, möge eine Zeit der Stille und des Friedens vergönnt sein, damit er sich von seinen Erlebnissen erhole. Das war vernünftig und
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