Das Geheimnis Der Schönen Toten
war, um sich in diesem Hause einzufügen.
»Oh, ja, das ist Fräulein Pernel«, sagte der Knecht, drehte sich um und rief einem vorbeigehenden Jungen zu, er solle ihm das Maultier abnehmen und sich darum kümmern, daß es versorgt werde. »Sie ist im Haus, meine Herrin ist allerdings mit dem Herrn ausgegangen. Sie wollte ihn ein Stück des Wegs begleiten; sie hat mit der Müllersfrau in Rodington etwas zu besprechen. Kommt herein, und ich werde Gunnild rufen.«
Als sie die Treppenstufen zur Eingangstür hinaufgingen, wich das Stimmengewirr auf dem Hof schrilleren Stimmen und dem Gelächter von Kindern, und zwei Jungen von etwa zwölf und acht schössen aus der offenen Tür und stürmten mit zwei oder drei Sätzen die Treppe hinunter, wobei sie Cadfael fast umstießen. Sie rannten sofort atemlos schreiend weiter und jagten auf die Felder zu. Ihnen folgte mit schnellen Sprüngen ein kleines Mädchen von fünf oder sechs Jahren, das die Röcke mit seinen pummeligen Händen raffte und hinter seinen Brüdern herschrie, sie sollten auf sie warten. Der Reitknecht fing sie geschickt auf und setzte sie am Fuß der Treppe sicher auf die Füße, worauf das Kind mit der größten Geschwindigkeit, die seine kurzen Beine hergaben, hinter den Jungen herrannte.
Cadfael drehte sich einen Augenblick auf der Treppe um und folgte ihr mit den Augen. Als er sich wieder umdrehte, um auf der Treppe weiterzugehen, stand ein älteres Mädchen in der Türöffnung und sah ihn fragend und erstaunt, aber auch lächelnd an.
Das war gewiß nicht Gunnild, aber Gunnilds Herrin.
Gerade achtzehn geworden, hatte Hugh gesagt. Achtzehn und noch nicht verheiratet, verlobt auch nicht, wie es schien, vielleicht wegen der Bescheidenheit ihrer Mitgift und der Verbindungen ihres Vaters, vielleicht aber auch, weil sie in dieser Brut munterer Küken die Älteste und sicher auch für den Haushalt wertvoll war. Die Erbfolge war mit zwei gesunden Söhnen gesichert, und die beiden Töchter, für die gesorgt werden mußte, stellten für Giles Otmeres Mittel wohl so etwas wie eine Belastung dar, aber trotzdem herrschte keine Eile. Ihr anmutiges Aussehen und ihr offensichtlich warmherziger Charakter würden eine große Mitgift wohl überflüssig machen, wenn der richtige junge Mann kam.
Sie war nicht hochgewachsen, aber sanft gerundet und strahlte Fröhlichkeit aus, als würde ihr ganzer Körper, von den weichen braunen Haaren bis zu den kleinen Füßen, so lächeln, wie es ihre Augen und ihre Lippen taten. Sie hatte ein rundes Gesicht, und die Augen waren groß, weitaufgerissen und leuchteten aufrichtig. Ihre vollen Lippen wirkten leidenschaftlich und entschlossen zugleich, obwohl sie sich in diesem Augenblick zu einem überraschten Lächeln teilten. Sie hielt das Holzpüppchen ihrer kleinen Schwester in der Hand, das sie gerade dort aufgehoben hatte, wo die Kleine es hingeworfen hatte.
»Hier ist das Fräulein Pernel«, sagte der Reitknecht fröhlich und zog sich einen Schritt in Richtung Hof zurück.
»Herrin, der gute Bruder würde gern mit Euch sprechen.«
»Mit mir?« fragte sie und riß die Augen noch mehr auf.
»Kommt herein, Sir, und seid willkommen. Wollt Ihr wirklich mich sprechen? Nicht meine Mutter?«
Ihre Stimme entsprach der Fröhlichkeit, die sie ausstrahlte. Es war eine hohe und fröhliche Stimme wie die eines Kindes, in ihrem singenden Tonfall aber sehr melodisch.
»Nun«, sagte sie lachend, »jetzt können wir einander wenigstens verstehen, wo die Kinder weg sind. Kommt, setzt Euch auf die Fensterbank und ruht Euch aus.«
Der Alkoven, in dem sich beide hinsetzten, hatte auf der Wetterseite einen halb geschlossenen Fensterladen, doch der andere war offen. An jenem Morgen herrschte kaum Wind, und trotz des wolkenverhangenen Himmels war das Licht gut. Diesem Mädchen gegenüberzusitzen war so, als hätte man eine glühende Lampe vor sich. Für einen Augenblick hatten sie die Halle für sich, obwohl Cadfael vom Durchgang und der Küche her sowie vom Hof draußen etliche Stimmen hören konnte, die in geschäftiger Harmonie miteinander verschmolzen.
»Ihr seid von Shrewsbury gekommen?« fragte sie.
»Mit Erlaubnis meines Abts«, erwiderte Cadfael, »um Euch dafür zu danken, daß Ihr Eure Magd Gunnild so schnell zum Herrn Sheriff geschickt habt. Damit konnte der Mann freigelassen werden, der unter dem Verdacht, ihren Tod verursacht zu haben, im Gefängnis saß. Sowohl mein Abt als auch der Sheriff stehen in Eurer Schuld. Ihre Absicht ist,
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