Das Geheimnis Der Schönen Toten
sich. Als er ging, klang ihm dieser behutsame Vorschlag, den das Mädchen mit seiner warmen, energischen und lebensvollen Stimme vorgebracht hatte, noch im Ohr, und er sah ihr strahlendes und vertrauensvolles Gesicht vor Augen, das Gegenstück von Krankheit, Einsamkeit und Schmerz. Nun, warum nicht? Selbst wenn sie eher den jungen Mann wiedersehen wollte, als einer hinfälligen Edelfrau mit ihrem Zauber und ihrer Jugendfrische neuen Mut zu machen, konnte ihre Anwesenheit trotzdem Wunder tun.
Er ritt ohne Eile über die herbstlichen Felder zurück, doch statt am Torhaus der Abtei abzubiegen, setzte er seinen Weg über die Brücke und in die Stadt fort, um im Schloß Hugh aufzusuchen.
Kaum hatte er begonnen, die Rampe zum Torhaus des Schlosses hinaufzureiten, wurde offenkundig, daß etwas geschehen war, was ungeheure Aufregung ausgelöst hatte.
Zwei leere Fuhrwerke wurden ächzend den Abhang hinaufgezogen und verschwanden unter dem tiefen Torbogen des Turms, und auf dem Innenhof herrschte zwischen Halle, Stall, Rüstkammer und Lagerräumen solche Geschäftigkeit, daß Cadfael inmitten dieses Kommens und Gehens viele Minuten unbemerkt auf seinem Maultier sitzen blieb. Er versuchte zu ermessen, was er sah, und bedachte, was es unvermeidlich bedeutete. An allem, was hier vorging, wirkte nichts verwirrt oder konfus, alles geschah absichtsvoll und lief nach einem unbekannten Muster ab, war der befehlsgemäße Höhepunkt berechneter und wohlgeplanter Vorbereitungen. Cadfael saß ab, und Will Warden, Hughs ältester und erfahrenster Lehnsmann, hielt für einen Augenblick damit inne, die Kutscher weiter zum Innenhof zu dirigieren, und kam zu ihm, um ihn über alles aufzuklären.
»Morgen früh sind wir auf dem Marsch. Wir haben erst vor einer Stunde die Nachricht erhalten. Geht zu ihm hinein, Bruder. Er befindet sich im Torturm.«
Und damit war er schon wieder unterwegs, winkte den Kutscher des zweiten Karrens durch den Torbogen zum Innenhof und verschwand hinter dem Karren, um dafür zu sorgen, daß er richtig beladen wurde. Der Troß mußte sich bereit machen, schon heute aufzubrechen, während der bewaffnete Trupp ihm beim ersten Tageslicht folgen würde.
Cadfael übergab sein Maultier einem Stalljungen und ging zu dem tiefen Portal des Wachraums im Torturm hinüber. Hugh erhob sich bei seinem Anblick von einem mit Akten überladenen Tisch, stapelte seine Unterlagen und schob sie zur Seite.
»Es ist so gekommen, wie ich gedacht habe. Der König mußte etwas gegen den Mann unternehmen, denn er kann nicht länger herumsitzen und nichts tun, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Obwohl er ebensogut weiß wie ich«, gab Hugh besorgt und mit großer Heftigkeit zu, »daß die Chancen, Geoffrey de Mandeville zu einer offenen Feldschlacht zu zwingen, nur allzu gering sind. Was ist, wenn seine Nachschublinien in Essex gesichert sind, selbst wenn mal die Zeit kommt, in der er aus den Fens weder Getreide noch Vieh mehr herauspressen kann? Und all diese öden, von Gewässern durchzogenen Flächen, die ihm so vertraut sind wie die Linien seiner Hand? Nun, wir werden ihm größtmöglichen Schaden zufügen, und vielleicht können wir ihn dort festnageln, wenn es uns schon nicht gelingt, ihn zu vertreiben. Wie immer die Aussichten sein mögen, Stephen hat sein Aufgebot nach Cambridge befohlen und von mir für eine begrenzte Zeit eine Kompanie verlangt, und einen Trupp soll er haben, und er wird so gut sein wie jeder, den er von seinen Flamen bekommt. Und wenn er nicht wieder so schnell marschiert wie der Blitz - was uns manchmal ebenso überrascht wie ihn selbst -, werden wir vor ihm in Cambridge sein.«
Nachdem er sich auf diese Weise von der Seele geredet hatte, was ihn bedrückte, und es damit keine besondere Eile hatte, da alles schon im voraus bedacht worden war, sah Hugh seinem Freund jetzt aufmerksamer ins Gesicht und bemerkte, daß König Stephens Kurier nicht der einzige Besucher gewesen war, der wichtige Neuigkeiten zu bringen gehabt hatte.
»Sieh an, sieh an!« sagte er mild. »Wie ich sehe, hat nicht nur Seine Gnaden der König etwas auf dem Herzen, sondern auch du. Und gerade jetzt muß ich fortziehen und dir die Last allein überlassen. Setz dich und erzähl mir, was es Neues gibt. Dazu ist noch Zeit, bevor ich aufbrechen muß.«
9. Kapitel
Von Zufall kann keine Rede sein«, sagte Cadfael und legte seine verschränkten Arme auf den Tisch. »Du hattest recht. Die Geschichte hat sich aus gutem Grund wiederholt, denn
Weitere Kostenlose Bücher