Das Geheimnis Der Schönen Toten
die Geschichte falsch ist. Wenn ich Beweise dafür hätte, daß sie es nicht ist«, sagte Hugh, dem es zu schaffen machte, wie entmutigend hoch die Zahl der Unwägbarkeiten war, »könnte ich Sulien fast -fast - als Verdächtigen streichen.«
»Dann ist da noch die Frage«, sagte Cadfael langsam, »warum er Ruald bei seiner Begegnung mit ihm nicht gleich erzählte, er habe in Peterborough von Generys gehört, und sie sei am Leben und wohlauf. Selbst wenn er vorgehabt hat, wie er sagt, den Ring zu behalten, hätte er dem Mann trotzdem erzählen können, was diesem große Erleichterung verschafft und ihm seinen Seelenfrieden wiedergegeben hätte, wie Sulien sehr wohl wußte. Er hat es aber nicht getan.«
»Der Junge wußte da aber noch nicht«, wandte Hugh gerechterweise ein, »daß wir eine tote Frau gefunden hatten oder daß ein Schatten des Verdachts auf Ruald lag. Er wußte nicht, wie dringend es war, Ruald von dessen Frau zu erzählen, denn das ging ihm erst auf, nachdem er auf Longner die ganze Geschichte gehört hatte. Er hätte tatsächlich glauben können, es sei besser, einfach zu schweigen, da Ruald dort, wo er sich befindet, gesegnet glücklich ist.«
»Ich bin nicht ganz sicher«, sagte Cadfael langsam und besann sich auf die kurze Zeit, in der Sulien ihm im Kräutergarten geholfen hatte, »daß er erst bei seiner Rückkehr nach Hause von dem Fall erfahren hat. An dem Tag, an dem er um Erlaubnis bat, Longner zu besuchen und seine Familie wiederzusehen, war Jerome mit ihm im Garten gewesen. Ich bin ihm nämlich begegnet, als er ging. Er hatte es überdies plötzlich sehr eilig und war eine Spur liebenswürdiger und brüderlicher als gewohnt. Und ich frage mich jetzt, ob bei der Unterhaltung der beiden nicht etwas davon gesagt worden ist, daß wir die Gebeine einer Frau gefunden haben und daß der gute Ruf eines Mannes bedroht ist. Noch am selben Abend begab sich Sulien zum Herrn Abt und erhielt Erlaubnis, nach Longner zu reiten. Er kam am nächsten Tag nur zurück, um seine Absicht zu erklären, den Orden zu verlassen, und den Ring vorzuzeigen und zu erzählen, wie er ihn bekommen habe.«
Hugh trommelte mit den Fingern leicht auf den Tisch.
Seine Augen wurden zu grüblerischen schmalen Schlitzen.
»Was hat er als erstes gesagt?« verlangte er zu wissen.
»Erst erbat und erhielt er seine Entlassung.«
»Würde es einem normalerweise aufrichtigen Mann leichter fallen, den Abt vor oder nach der Entlassung anzulügen? Was meinst du?«
»Deine Gedanken sind den meinen nicht unähnlich«, entgegnete Cadfael mürrisch.
»Also«, sagte Hugh und schüttelte seinen Kummer schnell ab, »zwei Dinge stehen fest. Erstens: Was immer die Wahrheit über Sulien sein mag, diese zweite Errettung ist zweifelsfrei bewiesen. Wir haben Gunnild gesehen und mit ihr gesprochen. Sie lebt, es geht ihr gut, und sie hat vernünftigerweise nicht die Absicht, sich wieder auf die Wanderschaft zu begeben. Und da wir keinen Anlaß haben, Britric mit irgendeiner anderen Frau in Verbindung zu bringen, ist auch er damit in Sicherheit, und ich wünsche beiden Glück. Und die zweite Gewißheit, Cadfael, ist, daß schon die Tatsache dieser zweiten Errettung große Zweifel aufwirft, was die erste betrifft. Generys haben wir nicht gesehen. Ring oder kein Ring, ich habe sehr zwiespältige Gefühle, ob es je möglich sein wird, sie wiederzusehen.
Und doch, und doch - Cadfael glaubt es nicht! Nicht beim jetzigen Stand der Dinge, so wie wir sie jetzt sehen.«
»Da gibt es noch etwas, was feststeht«, rief ihm Cadfael ernst ins Gedächtnis zurück, »nämlich daß du morgen früh von hier aufbrechen mußt. Da die Angelegenheiten des Königs keinen Aufschub dulden, müssen unsere eben warten. Falls du überhaupt etwas erledigt sehen möchtest - was soll getan werden, bis du wieder selbst die Zügel in die Hand nehmen kannst? Was mit Gottes Hilfe vielleicht nicht allzulange dauern wird.«
Als sich das Geräusch der beladenen Karren, die draußen lärmend unter dem Torbogen hindurchratterten, vernehmen ließ, waren beide aufgestanden. Das hohle Klappern der Räder unter dem steinernen Gewölbe dröhnte zu ihnen herüber wie ein Echo aus einer Höhle. Ein Trupp von Bogenschützen zu Fuß machte sich in diesem ersten Stadium des Marschs mit dem Troß auf den Weg, um in Coventry, wo die Lanzenträger zu ihnen stoßen sollten, frische Pferde zu übernehmen.
»Du darfst weder zu Sulien noch sonst jemandem auch nur ein Wort darüber verlauten
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