Das Geheimnis Der Schönen Toten
respektvoll und aufmerksam auftritt. Ein erster Besuch hier? Cadfael glaubte es der leichten Anspannung anzumerken, von der beide junge Leute erfaßt waren.
»Mein Name ist Cadfael. Euer Sohn ist im Kräutergarten der Abtei mein Gehilfe gewesen, solange er bei uns war. Ich habe bedauert, ihn zu verlieren«, sagte Cadfael, »aber es hat mir nicht leid getan, daß er zu dem von ihm erwählten Leben zurückgekehrt ist.«
»Bruder Cadfael war ein angenehmer Meister«, sagte Sulien und reichte ihm den Becher mit einem etwas angestrengten Lächeln.
»Das glaube ich gern«, sagte sie, »nach all dem, was du mir von ihm erzählt hast. Und ich erinnere mich auch an Euch, Bruder, und die Medizin, die Ihr mir vor einigen Jahren gemacht habt. Ihr hattet die Freundlichkeit, Sulien wieder einen kleinen Vorrat mitzugeben, als er Euch besuchte. Er liegt mir dauernd in den Ohren, ich solle ihn nehmen. Aber ich brauche nichts. Wie Ihr seht, wird für mich sehr gut gesorgt, und ich bin recht zufrieden. Ihr solltet die Flasche zurücknehmen. Andere können sie vielleicht besser gebrauchen.«
»Das war einer der Gründe für diesen Besuch«, erwiderte Cadfael, »mich zu erkundigen, ob Euch dieses Medikament wohlgetan hat oder ob es sonst noch etwas gibt, was ich Euch anbieten könnte.«
Sie lächelte ihm offen in die Augen, sagte jedoch nur:
»Und der zweite Grund?«
»Der Herr Abt«, sagte Cadfael, »hat mich geschickt, um zu fragen, ob Sulien mit mir zurückreiten und ihn besuchen kann.«
Sulien stand mit einem unergründlichen Gesicht vor ihm, verriet sich aber für eine Sekunde, indem er seine trocken gewordenen Lippen anfeuchtete. »Jetzt?«
»Jetzt.« Das Wort fiel wie ein Peitschenhieb und brauchte etwas Zeit, um voll und ganz erfaßt zu werden. »Er würde es Euch sehr danken.« Zu Donata gewandt, sagte Cadfael:
»Er hat Euren Sohn eine Zeitlang angesehen, als wäre es sein eigener. Und er hat ihm dieses väterliche Wohlwollen nicht entzogen. Er würde sich freuen, zu sehen und zu wissen«, sagte er mit Nachdruck und sah Sulien wieder ins Gesicht, »daß mit Euch alles zum besten steht. Nichts wäre uns lieber als das.« Was immer folgen mochte, dies war jedenfalls die Wahrheit. Ob sie darauf hoffen konnten, zu bekommen und zu behalten, was sie wollten, war eine andere Frage.
»Würdet Ihr mir eine Verzögerung von ein oder zwei Stunden erlauben?« fragte Sulien mit fester Stimme. »Ich muß Pernel nach Hause begleiten, nach Withington. Vielleicht sollte ich das als erstes tun.« Was für Cadfael, der zwischen den Zeilen zu lesen wußte, bedeutete: Es kann lange dauern, bevor ich von der Abtei zurückkomme. Vorher sollte ich am besten alles Unerledigte regeln.
»Das ist nicht nötig«, sagte Donata gebieterisch. »Pernel wird über Nacht bei mir bleiben, falls sie so liebenswürdig sein will. Ich werde einen Jungen nach Withington schicken, um ihren Vater wissen zu lassen, daß sie hier bei mir sicher untergebracht ist. Ich habe nicht so viele junge Besucher, daß ich es mir leisten könnte, sie gleich wieder gehen zu lassen. Reite du nur ruhig mit Bruder Cadfael, und bis zu deiner Rückkehr werden wir einander angenehme Gesellschaft leisten.«
Diese Äußerung ließ auf den Gesichtern Suliens und Pernels ein wachsames Glitzern aufleuchten. Sie wechselten einen blitzschnellen Blick, worauf Pernel sofort sagte: »Ich würde sehr gern bleiben, wenn Ihr mich wirklich aufnehmen wollt. Gunnild kann sich um die Kinder kümmern, und meine Mutter kann mich bestimmt einen Tag entbehren. «
Ist es möglich, fragte sich Cadfael, daß Donata sich trotz ihrer eigenen schlimmen Lage Gedanken um ihren jüngeren Sohn macht und dieses Zeichen von Interesse an einer passenden jungen Frau begrüßt? Vielleicht wollen auch willensstarke Mütter, die sich mit ihrem langsamen Tod längst abgefunden haben, alle unerledigten Angelegenheiten regeln.
Ihm war soeben aufgegangen, was ihn am meisten an ihr bestürzte. Dieser Feind, der sie dahinsiechen ließ, hatte zwar ihr Haar ergrauen und sie bis auf die Knochen abmagern lassen, es jedoch nicht geschafft, sie alt aussehen zu lassen. Sie wirkte vielmehr wie das zerbrechliche Trugbild eines jungen Mädchens, das schon in der Blüte seiner Jahre verkümmert, das verwittert und verhungert, wenn sich die Knospe gerade entfalten soll. Neben der strahlenden Erscheinung Pernels war sie ein verwehtes Phantom, der Geist eines Kindes. Gleichwohl wäre sie in diesem oder jedem anderen Raum die
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