Das Geheimnis Der Schönen Toten
ihm wohl durch die ganze Stadt folgen würde. Hugh machte sich stets über Lob und lauten Beifall lustig, denn ihm war nur zu bewußt, wie wenig ihn und seine Männer von den grollenden Vorwürfen trennte, mit denen sie empfangen worden wären, wenn er, auch in einer noch so verzweifelten Situation, Männer verloren hätte. Es war jedoch menschlich, sich über das Wissen zu freuen, daß er nicht einen verloren hatte. Die fast drei Jahre zurückliegende Rückkehr aus Lincoln war ganz anders gewesen; jetzt konnte er es sich leisten, diesen Empfang zu genießen.
Am Torhaus der Abtei hielt er in der Schar rasierter Scheitel nach Cadfael Ausschau und entdeckte ihn auf den Stufen des Westportals. Hugh flüsterte seinem Rittmeister etwas ins Ohr und zog sein Pferd aus der Marschkolonne, um längsseits aufzuschließen, obwohl er nicht absaß. Cadfael griff hochzufrieden nach dem Zaumzeug.
»Ich muß sagen, mein Junge, dies ist ein willkommener Anblick, wenn es je einen gegeben hat. An dir ist kaum ein Kratzer zu sehen, und nicht ein Mann fehlt! Wer könnte mehr wollen?«
»Was ich wollte«, entgegnete Hugh aus tiefster Brust, »war de Mandevilles Haut, aber er trägt sie noch, und Stephen kann nicht das geringste dagegen tun, bis wir diese Ratte aus ihrem Loch jagen können. Hast du Ahne gesehen?
Ist zu Hause alles wohlauf?«
»Leidlich, aber wenn sie dein Gesicht in der Tür sieht, wird sie sich gleich viel besser fühlen. Willst du Radulfus besuchen?«
»Noch nicht! Nicht jetzt! Ich muß dafür sorgen, daß die Männer nach Hause kommen und bezahlt werden, um dann selbst nach Hause zu eilen. Cadfael, willst du mir einen Gefallen tun?«
»Mit Freuden«, erwiderte Cadfael herzlich.
»Ich will den jungen Blount sehen, gleichgültig wo, aber nicht auf Longner, denn ich nehme an, daß seine Mutter nichts von dieser Angelegenheit weiß, in die er verwickelt ist. Sie geht ja nie aus dem Haus, so daß sie nicht hören kann, was die Leute reden, und die Familie würde alles daran setzen, ihr jeden weiteren Kummer zu ersparen. Sollten sie ihr kein Wort von der Leiche erzählt haben, die du gefunden hast, dann verhüte Gott, daß ich jetzt aus heiterem Himmel den Pfeil auf sie abschieße. Sie hat auch so schon Kummer genug. Kannst du dich vom Abt beurlauben lassen und Mittel und Wege finden, den Jungen ins Schloß zu bringen?«
»Dann hast du also etwas herausgefunden!« Aber er fragte nicht, was. »Es wäre leichter, ihn herzubringen, und außerdem wird auch Radulfus es anhören müssen, jetzt oder später, was immer es sein mag. Sulien ist einer von uns gewesen und wird kommen, wenn man ihn ruft. Radulfus kann sich irgendeinen Vorwand ausdenken. Sorge um einen früheren Sohn. Und das wäre keine Lüge!«
»Gut!« erklärte sich Hugh einverstanden. »Das wird genügen! Bring ihn her und behalte ihn bei dir, bis ich komme.«
Er stieß dem Pferd die Fersen in die grauen, gescheckten Flanken, und Cadfael ließ das Zaumzeug los. Hugh ritt in leichtem Galopp hinter seinem Trupp her und hielt auf die Brücke und Stadt zu. Man konnte den Weg der Männer am verebbenden Geräusch ihrer Begrüßung nachvollziehen, einer Welle, die auf das Ende der Stadt zubrandete, während das befriedigte und dankbare Stimmengewirr hier am Foregate zu einem leisen Summen geworden war wie bei Bienen auf einer blühenden Wiese. Cadfael wandte sich um und begab sich wieder auf den großen Hof, um beim Abt um einen Audienz zu bitten.
Es war gar nicht so schwer, sich einen glaubwürdigen Grund für einen Besuch auf Longner auszudenken. Dort befand sich eine kranke Frau, die sich einmal seiner Künste bedient hatte, um zumindest ihren Schmerz zu lindern, und da war noch der vor kurzem zurückgekehrte jüngere Sohn, der sich bereit erklärt hatte, seiner Mutter etwas von dem gleichen Sirup mitzubringen und den Versuch zu machen, sie zu überreden, ihn erneut zu nehmen, nachdem sie sich lange Zeit geweigert hatte, solche Tröstungen anzunehmen. Wenn er, Cadfael, sich nach dem Befinden der Mutter erkundigte und dabei dem Sohn die väterliche Einladung des Abts überbrachte, in dessen Obhut er noch vor kurzem gestanden hatte, würde das nicht allzu unglaubwürdig klingen. Cadfael hatte Donata Blount nur einmal gesehen, als sie noch stark genug gewesen war, sich außerhalb des Gutshauses zu bewegen und anderen einen Rat zu erteilen oder Ratschläge von ihnen anzunehmen. Nur einmal war sie erschienen, um Bruder Edmund zu konsultieren, der für die
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