Das Geheimnis der Schwestern
schmälerte die Aussicht. Wie in Water’s Edge konnte man über den Canal blicken – der an diesem späten Nachmittag glatt und silbrig dalag –, bis zu der gezackten, schneebedeckten Silhouette der Olympic-Mountain-Gebirgskette. Zwischen den Grundstücken sorgte ein dichtes Wäldchen für Privatsphäre. Sie setzten sich auf die Hollywoodschaukel, die früher Winonas absoluter Lieblingsplatz gewesen war.
»Wir fangen wohl am besten mit den Eckdaten an«, sagte Luke, machte sein Bier auf und lehnte sich zurück, um einen Schluck zu trinken. »Nach unserem Umzug nach Montana hab ich an der WSU studiert, um Tierarzt zu werden. Für große Tiere. Wo hast du studiert?«
»An der UW. Grund- und Hauptstudium.«
»Ich dachte, du würdest durchbrennen und dir die Welt angucken. Ich war überrascht, als ich hörte, du seist zurück.«
»Ich wurde zu Hause gebraucht. Was ist mit dir? Warst du je in Australien?«
»Nein. Zu viele Studiendarlehen.«
»Ich weiß, was du meinst.« Sie lachte, doch als sie aufhörte, trat unbehagliches Schweigen ein. »Hast du geheiratet?«, fragte sie leise.
»Nein. Du?«
»Nein.«
»Warst du je verliebt?«
Unwillkürlich drehte sie sich zu ihm. »Nein. Du?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich schätze, ich habe einfach nicht die Richtige getroffen.«
Winona lehnte sich zurück und blickte wieder zu den Bergen. »Deine Mom fand es bestimmt schrecklich, dass du weggezogen bist.«
»Ach was. Caroline ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Damit hat Mom genug zu tun. Außerdem wusste sie, dass ich unruhig war.«
»Unruhig?«
»Irgendwann muss man sich auf die Suche nach seinem eigenen Leben machen.« Er trank noch einen Schluck Bier. »Wie geht’s deinen Schwestern?«
»Gut. Aurora hat vor ein paar Jahren ihren Mann Richard kennengelernt – er ist Arzt –, und sie haben jetzt vierjährige Zwillinge. Ricky und Janie. Ich glaube, es geht ihnen gut, aber bei Aurora weiß man das nie so genau. Sie will immer alle glücklich machen, daher sagt sie so gut wie nie, wenn sie etwas stört. Und Vivi Ann ist noch ganz die Alte: spontan und eigensinnig. Sie handelt erst und denkt später nach.«
»Im Vergleich zu dir denkt doch keiner genug nach.«
Winona musste unwillkürlich lachen. »Was soll ich sagen? Ich bin immer die Schlaueste von allen.«
Sie verfielen in freundschaftliches Schweigen, starrten über die ungepflegte Weide und tranken ihr Bier. Dann sagte Luke leise: »Ich glaube, ich habe Vivi Ann gestern an der Tankstelle gesehen.«
Winona hörte etwas in seiner Stimme, das sie alarmierte. »Sie wollte nach Texas fahren. Am Wochenende verdient sie eine Menge Geld mit Rodeos. Und trifft dort eine Menge gutaussehender Cowboys.«
»Kein Wunder. Sie ist umwerfend«, erwiderte er.
Das hatte Winona schon von allen Männern in ihrem Leben gehört; normalerweise folgte auf diese Feststellung: Meinst du, sie würde mit mir ausgehen? Sie erstarrte und zog die Fühler zurück, die sie albernerweise ausgestreckt hatte. »Stell dich hinten an«, murmelte sie kaum hörbar.
Was hatte sie sich denn gedacht? Für Winona sah Luke einfach viel zu gut aus; es war gefährlich, auch nur das Geringste zu erwarten. Vor allem jetzt, da er gesehen hatte, wie hinreißend Vivi Ann war.
»Es ist schön, wieder hier zu sein«, sagte er und stieß sie mit der Schulter an, so wie früher, als sie noch Kinder und beste Freunde waren. Und auf einmal kippten ihre Schutzwälle um und brachen auseinander.
»Ja«, erwiderte sie, wagte aber nicht, ihn anzusehen. »Schön, dass du wieder hier bist.«
Zwei
Obwohl Winona sich den gesamten nächsten Tag einredete, er würde nicht anrufen, blickte sie immer wieder sehnsüchtig zum Telefon und schrak auf, wenn es klingelte.
Ein Tag.
Ein Tag war erst vergangen, seit sie mit ihrem besten Freund aus Jugendzeiten auf einer Hollywoodschaukel gesessen und den Abend auf der Veranda genossen hatte. Natürlich würde er nicht so schnell anrufen. Oder überhaupt. Schließlich war sie fett wie eine Kuh. Wieso sollte ein attraktiver Mann wie Luke Connelly mit ihr ausgehen wollen?
»Konzentrier dich, Winona«, sagte sie sich und sah auf den Vertrag, den er ihr am Abend zuvor mitgegeben hatte. Sie hatte sich unzählige Notizen gemacht – Fragen, die sie mit ihm durchsprechen wollte, und Warnungen, wo er seine Interessen wahren musste. Zusätzlich zu ihrem juristischen Urteil hatte sie ein paar Anmerkungen dazu gemacht, was eine Partnerschaft mit Woody Moorman mit sich
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