Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
scharfsinnigsten Aufspürern verschollener Sprachschätze gehört G. Regis, der in seiner berühmten Rabelais-Übersetzung mehrere tausend scheintoter Worte aus dem Altdeutschen neubelebt hat. Sein Werk bietet zugleich eine Fundgrube für den Sprachvergleicher, der die jüdischen Worte an der Wurzel erfassen will. Im Regis findet er, um nur einige zu nennen, das jiddische »gehl« für gelb (in »Gelbschnabel«), »Göderl« für Doppelkinn (»Göderlein«), »übern Gänsdreck führen« für nasführen, »Händsch oder Händschkes« für Handschuh. Wer zudem seinen Luther, Dürer usw. daraufhin nachliest, kann bei einiger Kenntnis des Jüdischen die Liste bis zu beliebiger Länge ergänzen. Die angeblichen Mauschelwörter »Seiger« (für Zeiger, auch Uhr), »Fickes zeigen« (die Feige bieten, jemand Spott erweisen), »tur« (für darf, bei Luther), »Kaul« (für Kugel, erhalten in Kaulquappe, Kaulbars), »Nebbich« (aus die Nebigen, die Danebenlaufenden, die Knappen; also nicht ein hebräischer Brocken, wie der Völkische fälschlich unterstellt), »derohn« für ohne dieses (sogar noch bei Schopenhauer anzutreffen) – sind allesamt altes, vortreffliches, deutsches Sprachgut!
Daraus folgt nun mancherlei. Erstlich, daß es nicht angeht, eine Misch-Sprache zu verlästern, die sich in ausgedehnten Gebieten des Ostens als der stärkste, auf weiten Strecken sogar als der einzige Wegebahner des Deutschen erwiesen hat; wie sie auch im Westen unter schwierigsten Bedingungen noch immer Reste deutscher Kulturarbeit leistet. Zweitens, daß es noch weniger angeht, sie in ihrer Wirkung auf uns Deutsche zu beschimpfen, denn diese Wirkung ist eine hervorragend erhaltende: viele sprachliche Vortrefflichkeiten, die nahezu verloren sind und sonst wahrscheinlich unwiederbringlich verschwinden müßten, werden einzig im Jüdischen erhalten, das als ein Lebendiges den Verwesungskeimen entgegenwirkt. Sonach müßte gerade der Völkische durch sein eigenes Interesse auf die sorgsame Erkundung einer Sprache hingewiesen werden, die bei allem äußern Mißklang doch im Innern so wertvolle echtdeutsche Sprachgüter verwaltet. Je weiter man dieser Betrachtung nachgeht, desto mehr verflüchtigt sich die Sinnspur in der zuvor angeführten Parallele. Es gibt Gleichnisse, die auf einem Bein, und andere, die auf beiden Beinen hinken. Das oben angeführte, worin Fremdwörterei und Mauscheln durch das Gleichheitszeichen verbunden werden, begnügt sich damit noch nicht. Es blickt gleichzeitig nach dem Ehrentempel des Schrifttums und nach der Judengasse, vergleicht Vortreffliches mit Verwerflichem, übersieht, daß das Verwerfliche gar nicht vorhanden, und übersieht besonders, daß es Dinge gleichsetzt, die ihrem Wesen nach schnurstracks auseinandergehen. Jenes Gleichnis ist also, gelinde gesagt, ein Vierfüßler, der es fertig bekommt, auf allen vier Beinen zu hinken.
Die Sprache der Neutöner
Im sechsunddreißigsten Stück seines ersten Buches bringt Montaigne den anscheinend sehr paradoxen Satz: »Es ist leichter, Gedichte machen, als verstehen.« Ohne sich auf eine ernstliche Begründung einzulassen, stützt er sich auf einige dem Plato entlehnte Bildervergleiche, um seiner Meinung Nachdruck zu geben: wir haben weit mehr Dichter als Kenner und Ausleger der Poesie; hält sie sich in niedrigem Fluge, so kann man sie nach den Regeln der Kunst beurteilen; die gute aber ist über allen Regeln und über aller Vernunft.
Man kann das seltsame Wort des Montaigne verschärfen, indem man hinzufügt: bisweilen wissen die herrlichsten Dichter selbst nicht einmal, wie herrlich sie dichten; was darauf hinauslaufen würde, daß sich nicht einmal den poesiebegnadeten Verfassern das volle Verstehen ihrer Schöpfungen ermöglicht. Und ich glaube, daß sich dies an hervorstechenden Beispielen unserer Neutöner im Gebiet der Wortkunst unter Beweis stellen läßt.
Nicht als ob ich mir persönlich etwa damit jenes höhere und ganz besondere Verständnis zusprechen wollte. Hiervon weit entfernt, bekenne ich sogar leidvoll, daß ich mich in vielen Geländen unserer Neulyrik nicht zurechtzufinden vermag; ja noch mehr, ich weiß ziemlich genau, die Schuld daran liegt in mir, liegt daran, daß eine stiefmütterliche Natur mir gewisse seelische Saiten versagt hat, deren Mitschwingen unerläßlich ist, wenn man jene Gelände mit Genuß durchstreifen möchte.
Und dennoch! Was nach Montaigne über allen Regeln und aller Vernunft liegt, besitzt auch Pforten, die sich
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