Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
betrachtet grundgut. Ihre Brüchigkeit wird erst klar, wenn man sie mit den scharfen Mitteln der Erkenntnis prüft, wobei dann herauskommt, daß die knappen Formeln Deutsch–Undeutsch, Freund–Feind nicht ausreichen, um das Geheimnis der Sprache aufzuspüren, geschweige denn den Grad ihrer Geltung im Weltverkehr zu fördern und ihren Gang dem Fluge der Gedanken anzupassen. Im Grunde genommen wendet sich auch das »Sprachschöpfer«-Werk seiner Absicht nach an das Gefühl der Vielzuvielen, welche die völkische Grenze mit der Sprachgrenze und die Güte des hier vorgetragenen Lehrstoffes mit der Güte der daraus abgeleiteten Forderung verwechseln. Und wenn es bei diesen Recht behält, so bleibt nur noch die Zuflucht zu einem Wort des Malebranche: »Vulgi assensus et approbatio circa materiam difficilem est certum argumentum falsitatis istius opinionis, cui assentitur –, die Zustimmung der Masse betreffs eines schwierigen Stoffes ist der sichere Beweis für die Falschheit eben der Meinung, der sie beipflichtet.« Und schwer genug ist die Materie, obschon sie in völkischen Schlagworten dargestellt so leicht aussieht. Was hier von Volkstribunen auf die Gefühlsbank geschoben wird, gehört im Kern der Angelegenheit zur Gerichtsbarkeit des Verstandes, und der »ist stets bei wenigen nur gewesen!«
Von Gottsched bis Engel, oder von Adelung bis Engel hätte dieses Kapitel heißen können, das lang geworden ist und doch viel zu kurz, um der Bedeutung des Gegenstandes gerecht zu werden. Wir haben den lebenden Vorkämpfer in den Vordergrund gestellt, als den deutlichsten Ausdruck der Spracherschütterungen, die uns umwirbeln. Faßt man diese Wirbel als eine Naturerscheinung, so wird in ihr erkennbar, was der Chemiker als »Katalyse« bezeichnet; wieder so ein verdammtes Welschwort, das sich nicht übersetzen lassen will. Es bedeutet das Auftreten oder die Beschleunigung eines Vorganges durch die bloße Gegenwart eines Körpers, welcher selbst anscheinend keine Veränderung darin erleidet. So ist Engel in den Sprachwandlungen unserer Zeit zwar nicht die größte wirkende Kraft, aber sicherlich der stärkste Katalysator. Alles gärt und explodiert um ihn, in widerstreitenden Gewalten, die, aus ganz anderm Ursprung hervorbrechend, sich an ihm entzünden. Eine Betrachtung der gegenwärtigen Bewegung kann eher an einem schöpferischen Genie vorbeisehen, als an ihm. Er ist durchaus Vordergrunds-Erscheinung und steht in der Beleuchtung ununterbrochenen Sprühfeuers. Immerhin ein fesselnder, mit nichts anderem zu vergleichender Anblick; denn wo ward es erlebt, daß eine Pedanterie mit funkelnden Reizen auftrat?
Diese Reize anzuerkennen wird auch dem ein Bedürfnis sein, der an die Notwendigkeit einer Sturmreform im Ausdruck nicht glaubt. Die deutsche Sprache ist an Haupt und Gliedern gesund. Hält sie sich nicht sauber genug? gut, so verordne man ihr kosmetische Mittel, aber nicht stündliche Purganzen, zur Blutentgiftung. Sie müßte in Entkräftung verfallen, wenn die Kritik bei diesem Verfahren beharren würde. Vergegenwärtigen wir uns dabei, daß der größte Sprachkritiker der Neuzeit, Fritz Mauthner, Wunder des Denkens und des Ausdrucks zu leisten vermochte mit Worten und Sätzen dieser so schönen, von gesunden Säften strotzenden Sprache; und warten wir ab, ob die Sturmkritiker der Folgezeit mit ihrer entwelschten, entseuchten Sprache bessere Kunstwerke zustande bringen werden.
Pantheon und Ghetto
Joachim Raff, der Schöpfer der Wald- und der Lenoren-Symphonie, einer der fähigsten Meister des vorigen Musikgeschlechtes, übte in seinen Mußestunden vielfach Kritik an seinen Kollegen. Daß er bei Wagner danebengriff, brauchte heute kaum noch erwähnt zu werden; irrte sich doch auch Brahms in Wagner, Weber in Beethoven, Händel in Gluck. Aber Raff ließ es bei der verneinenden Kritik nicht bewenden. Er erbot sich allen Ernstes, Wagner durch Unterricht auf den rechten Weg zurückzuleiten und ihm durch zweckmäßige Rüge die Schmutzereien seiner Disharmonien auszutreiben.
Lebte Bismarck heute, er hätte zu gewärtigen, daß ähnliche Anerbieten an ihn heranträten. Wir haben unter uns Besserschreiber und Besserwisser, denen es ein Leichtes ist, in den Schriften Bismarcks mit dem Rotstift herumzuwerken, ihm die Sprachschmutzereien anzustreichen, und die ihn ganz bestimmt zu einem sauberen Schriftsteller erziehen würden, wenn er noch auf Erden wandelte.
Nämlich Bismarck – so behaupten diese Sprachheiligen der
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