Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Freund« endlich einmal – es war die höchste Zeit! – der Mond angesungen:
Wir träumen uns hinweg nach einem Heime,
Wo unser Aufgang starr und frostig sei.
Im angeträumten Schlummerebbungsschleime
Erscheint des Sterbens Silberstickerei,
Der Mond verstreut die bleichen Todeskeime,
Sein Mitleid keimt bereits in jedem Ei.
Die erstaunliche Tatsache, daß in allen Eiern außer den Zellkernen auch noch das Mitleid des Mondes keimt, oder vielmehr bleiche, vom Mond verstreute Todeskeime, die in den Eiern auf dem Umwege über das Mitleid wieder lebendig werden, lasse ich ganz beiseite. Das sind rein dichterische Angelegenheiten, die unsere Neutöner ganz unter sich auszumachen haben, in einer Sternenhöhe der Anschauung, zu der sich ein Schriftsteller meines Formates nicht emporwagen darf. Wir können allenfalls Descartes verstehen, und Algebra, und den ganzen Goethe, und ein bißchen Astronomie bis zum Sirius – die letzten Beziehungen vom Erdtrabanten zu den Eiern bleiben uns verschlossen. Dagegen sind wir durchaus befähigt, ein wahrhaft deutsches Neuwort wie » Schlummerebbungsschleim « zu begreifen und zu würdigen; und zugleich zu erahnen, daß da noch hunderte von anderen angeträumten oder angewachten Schleimen existieren müssen, die uns in unserer Sprachnot die wertvollsten Dienste leisten können. Wir könnten so etwas nur mühsam und ohne Aussicht auf Erfolg konstruieren, der Dichter findet es intuitiv.
In anderen Offenbarungen des nämlichen Arion finden wir folgende sprachliche Herrlichkeiten:
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Die Äste mit nassen Glizinien behangen
Beträumen ein Taudiamantangebot
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Der Mohr gehört zu den geträumten Sklaven,
Er wird von Sorgenwölfen angebissen
Und wälzt sich unter Wollusthindernissen ;
Doch lieblich blüht das Träumen von Agaven.
Und wiederum kann unsereiner nur erschauernd ahnen, was in all dem Geträumten eigentlich vorgeht. Aber das mangelnde Verständnis braucht kein Sorgenwolf zu sein, der uns anbeißt. Ganz im Gegenteil: diese traumselig beschwingte Wortgestaltung befreit uns, indem sie auf uns überströmt, von einer Wolfssorge; vor uns breiten sich unendliche Flächen ertragsreichen Wort-Neulandes, auf denen uns Überfülle erwartet, selbst wenn uns unsere eigne Welsch-Ernte total verhagelt; und wir wälzen uns bereits in einem Gemisch von Wollusthindernissen und Wollustförderungen, wenn wir daran denken, welch reiche sprachliche Taudiamantangebote wir beträumen, wieviel Schleimschlummerebbungen uns künftig im Kampf mit der Sprache erspart werden. Ja, vielleicht gehört die ganze Sprache nur zu den geträumten Schwierigkeiten, wie der Mohr zu den geträumten Sklaven! In diesem Sinne begrüßen wir solche Dichtungen als eine schriftstellerisch höchst wertvolle Agave.
Aber da erscheint ein neuer Sorgenwolf, man könnte beinahe sagen, eine Sorgenhyäne, oder da es sich um ein Wasserspiel handelt: ein Sorgenhaifisch. Denn die nachstehende Strophe des nämlichen Meisters entzündet in uns einen Gewissenskonflikt. Sein wundersames Gedicht »Auf sonniger See« beginnt nämlich:
Ein Segel wird zur Meereswanderblüte,
Mit Plätscherblättern silbert es dahin,
Dir kommen Lotosblumen in den Sinn,
Doch plötzlich untertulpt sich eine Tüte .
Nicht als ob ich an der Ausgiebigkeit dieses Musters für weitere Fälle zweifelte. Das wäre nur eine Frage des kombinierenden Verstandes, der ja schließlich mit allem fertig wird. Allein hier beißt mich ein Sorgenhecht, und nicht bloß ein geträumter, direkt ins Gewissen. Denn wenn sich eine Tüte untertulpt, dann kann sich auch eine Tulpe untertüten, und was der Tulpe und der Tüte recht ist, das muß im Stande der Sprachfreiheit allen Gewächsen und Materialformen billig sein. Das Gewissen fragt: darf man das bis in alle Fessellosigkeit? Gibt es nicht gewisse Schranken, die selbst der Meister nicht niedertulpen darf? Ist es denn im Sprachgebiet verstattet, jede Regel, jede Überlieferung niederzunelken, entzweizufliedern, kaputzuastern?
Die Tüte antwortet mit Ja. Aus ihren Meereswanderblütenplätscherblättern tulpt sich ein Sprachsignal empor, mit dem Hinweis darauf, daß wir uns aller Überlieferung entäußern sollen; und überhaupt ent..., so ent... wie möglich, unserm Meister folgend, der so eifrig die Entdichtung pflegt:
— — — — —
Dein Blick will entblauen .
— — — — —
He he! Hört ihr nicht, wie's Helene
He
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