Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
he le le Lene der Treppe entdröhnt?
Das ent ... , vordem verkannt und mißachtet, soll der Auftakt und die Leitsilbe der Literatur werden. Noch gibt es tausende von Worten, die mit dieser Silbe keine Bekanntschaft gemacht haben: führen wir sie zusammen, und wir gewinnen tausende von dichterisch schönen Neuworten. Den vordem so armen, so hilflosen Ausdruck wollen wir entarmen, enthilflosen und dadurch der Sprache zahllose neue Reize entschreiben, entdichten, entreden, entschriftstellern, daß uns selbst Demosthenes, der alte He he le le Hellene darum beneiden soll.
Hier gibt es kein Entweder, Entoder, sondern nur den Vorsatz, die freie Farbe der Entschließung zu entkränkeln.
Es wird Zeit, daß wir uns verjüngen, nachdem wir lange genug entjungt waren; so dürfen wir hoffen und zürnen nach dem Vorbild des großen Dichters Alfred Wolfenstein , der uns dieses »entjungt« in einer himmlischen Strophe geschenkt hat. Und dann, wenn wir uns glücklich entaltert haben, dann wollen wir erst einmal gründlich untersuchen, was denn eigentlich unsere Seele wünscht und will; der Prosaschreiber, der welschende Dümmling, ist noch weit entfernt davon, das zu wissen; aber der Dichter weiß es schon heute.....
Die Arme werfen ihre Hände
Durchs Fenster in die breite Luft,
Sie aber (die Seele) will recht nahe Wände
Vom Weltall eisern abgepufft.
– Ein leises Ruhn auf wildem Fegen –
Ich bin so irr als ginge wer
Im D-Zug-Korridor entgegen
Dem Hinsturm auf dem Rädermeer. –
Ich verhehle mir nicht, daß dieser Seelenwille an Klarheit zu wünschen übrig läßt; ja, ich bin nicht einmal sicher, ob die Seele nun wirklich andauernd im D-Zug zu fahren begehrt. Einerlei; auf den Ausdruck kommt es an, und die recht nahen, vom Weltall eisern abgepufften Wände stellen entschieden eine Sprachbereicherung dar, der zuliebe wir sogar den lateinisch-italienisch-französischen »Korridor« gern in den Kauf nehmen. Dafür wird sich schon einmal ein poetisch-bahnamtlicher Ersatz finden, wenn wir erst die Wände unserer Sprachbehausung gegen das französelnde Weltall eisern abgepufft haben.
Ich muß die vorstehenden Zeilen wohl wieder ausstreichen, denn soeben entdecke ich, daß mein leiser Zweifel unberechtigt war: die Dichterseele ist und bleibt tatsächlich auf den D-Zug angewiesen:
— — — — — —
Wenn ich vom schmalen Fenster der Stadt
Die mauerne Straße besah,
Die schlürfend, bremsend, konversierend vorbeigeschah ,
Sichtbar im Drehn wie ein Droschkenrad –:
—: Fühlt ich von lauem Wannenbad
Umplätschert meine gierige Geberde –
— Von dir, unplanetenhafte abgestandene Stadt! –
— Nur der Zug hält die Hand der rasenden Erde!
— — — — — —
Aber von mir sei euch vernichtenden
Räder! Euch Fülle dichtenden – geglaubt!
Ihr Füße über Eisen unter meinem Fleisch und Haupt!
Das ist klar, einleuchtend und zeigt uns zudem, wie weit wir es in der Dichtkunst gebracht haben, während die Prosa ringsum aus sattsam bekannten Gründen verluderte. Auch Schiller hat ja einst die Stadt in den Kreis seiner, ach so unbeholfenen Dichtung zu ziehen versucht, im Spaziergang:
»Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln,
Aus dem felsigten Kern hebt sich die türmende Stadt.«
»Türmend«? welch ein unpassender, grammatisch verfehlter Ausdruck! Der Sprachmeister der Neuzeit sieht, fühlt und bietet das anders; eine Stadt ist unplanetenhaft abgestanden, mit ihren Straßen, die an uns vorbeigeschehen. Da haben wir die Steigerung im Verhältnis vom Spaziergang zum Blitzzug; und wir begreifen vollkommen: um wahrhaft formgestaltend zu dichten, muß man Fülle dichtender Eisenräder unter Fleisch und Haupt haben.
Eine gewisse Enttäuschung stellt sich ein, wenn man an die Werke von Stefan George herangeht, der sich eine starke, treugläubige Gemeinde erworben hat. Nicht als ob ich hier sein dichterisches Ingenium als solches bestreiten wollte, denn hierfür müßte ich mich in eine Analyse einlassen, die ganz und gar nicht in den Rahmen dieses Buches fällt, nicht fallen kann, da sie nur im Zusammenhang mit der deutschen Dichtung überhaupt gegeben werden könnte, was mindestens einen Zehnbänder für sich beanspruchen würde. All die Geheimnisse und Unwägbarkeiten, welche zwischen Gefühl und Formung, zwischen Kunst und Künstelei, zwischen Offenbarung und Bluff liegen, müssen hier beiseitegelassen werden. Die Pole, durch welche die Achse dieses Buches
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