Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Dann reimt sich Gasthof auf Gustav, Pettenkofer auf Patentkoffer, Hungergefühl auf Kupferoxyd, Füllfeder auf Hilfslehrer, Leuchtkraft auf Euphrat, Braustübl auf Brustübel, Autorschutz auf Autobus, Stefan auf Steppgarn und George auf Drehorgel. Alle Prosa kann sich dann in tönende Reimpoesie auflösen, die Sprachentwicklung liegt vollendet vor uns. Ein Klang wie von Bach und Beethoven – steigt auf überm Wortozean, – und das hat mit seinen Strophen – der Stefan George getan.
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Ich nehme an, daß die hier betrachteten Ausdruckskünste in das weite System des »Expressionismus« gehören, das seit einem Jahrzehnt so große Geltung erlangt hat. Mit diesem Wort wird man sich wohl befreunden müssen, da es allen Übersetzungsversuchen widersteht und, wie die Fachkenner behaupten, nur gefühlt, nicht erklärt werden kann. Vielleicht könnte man »Ausdruckismus« sagen, um es wenigstens von dem uns geläufigen »Ausdruck« zu trennen, und dementsprechend auch »Eindruckismus« (Impressionismus), »Würfelismus« (Kubismus) und »Zukunftismus« (Futurismus). Erläutert wird, daß der »Expressionismus« direkt aus dem Herzen kommt, nur fehlt die genaue Angabe darüber, wie talentvoll ein Herz wohl sein müsse, um Expressionistisches zu leisten; jedenfalls waren die Herzen der alten Literaturschimmel von Horaz bis zu Lenau nicht geeignet dazu, da sie sonst die Ehre, den Expressionismus zu entdecken, nicht den Neutönern überlassen hätten. Dieser Unzulänglichkeit der Alten entspricht die Unfähigkeit mancher Neueren, die, obschon im Zeitalter des Expressionismus lebend und von seinen Segnungen umspielt, ihr Gemüt noch gegen ihn verhärten; die sogar so weit gehen, Dichtungen zu bezweifeln, wenn sie nicht genau ermitteln können, ob diese Dichtungen wirklich deutsch sind oder am Ende chaldäisch.
Die Chaldäer waren nicht nur Beherrscher einer sehr schwierigen, dem Deutschen wenig ähnlichen Sprache, sondern auch bekanntlich Astrologen, Wahrsager, Geheimkünstler, Magier. Und auch von diesen Kennzeichen ist mancherlei auf die dichtenden Expressionisten unserer Tage übergeflossen; sie bestimmen besonders deren Stellung zur Natur. So dichtet der zuvorerwähnte vorzügliche Seher Th. Däubler:
Du Fluß, du mußt mein Spiegelbild umblauen,
An meinem Atem liegt es einem alten Baum.
Die Quellenlust mag mich aus Fischlein her beschauen,
Ich glaube an den Schwan wie an den besten Traum.
Durch unsre Nähe, Wachteln, wird das Reh geboren.
Sein Dasein kennt sich sanft im Wald den Bach entlang.
Des Windes Knistertritt am Saum geht nie verloren,
Mir wird im Reh um mich, um Specht und Blätter bang.
Hier steckt das Chaldäische in der Wortfolge, in der Anschauung und ganz besonders in den Wachteln. Bei uns in Europa, zumal in Deutschland, werden sonst diese muntern Vögel selten aufgefordert, an einem Lehrkursus der Zoologie teilzunehmen, um darin zu erfahren, daß die Menschennähe die Geburt eines jungen Rehes bewirkt oder befördert. Oken, Darwin und Häckel geben hierüber keine Auskunft, noch weniger darüber, daß sich der geburtshelfende Mensch sogleich im Reh um den Specht ängstigt, und am allerwenigsten darüber, warum dies die Wachteln wissen müssen. Anders in Chaldäa, dessen Sprachmystik so seltsam in die jüngstdeutsche Lyrik hineinstrahlt.
Aber auch jene Ganzgroßen, die Däubler, Stefan George, Wolfenstein blicken schon wieder auf ein Epigonengeschlecht, an dem man nicht vorübersehen darf; immer im Zuge des Leitmotivs, daß nicht in der heillos verwelschten Prosa, sondern im kastalischen Born der Poesie die helle Zukunft der deutschen Sprache beschlossen liegt:
Spielender Knabe – von Sophie van Leer.
Zehn Steinchen
sieben Eicheln
ein braunes Tier
mit silbernen Füßen
Runde Körnchen
die Berge
eine Wasserpfütze
das Meer
Grasbüschel
grüne Wälder
Ein Käfer
mit Flügeln wie der Himmel
und noch einer
Warum darf man Käfer nicht an einem Faden aufreihen? Sie glänzen so schön zwischen Kastanien.
Aus ist's. Man könnte schwanken, ob man diese Dichtung schlechtweg dem Sezessionismus, oder dem Impressionismus, oder dem Futurismus beiordnen soll. Da es aber in der hervorragenden Zeitschrift »Der Sturm« erschien, so wird es wohl expressionistisch sein. Auf alle Fälle ist es lieb, herzig, unangekränkelt von Fremdländerei, Reim und Rhythmik, mithin durchaus geeignet, ein neues Modell für unsere Sprachgestaltung abzugeben.
Aber auch für die Erweiterung des Ausdrucks sind
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