Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Verfeinerungen und Abschattierungen gewähren.
In Betracht kämen
für glitzern: glotzern, glützern, glanzeln, glanstern, gliseglastern, gloseglostern;
für glimmen: glommeln, glimmstern, gluseglinstern, glemmlitzern usw.
wobei zu bemerken, daß »glinzen« schon bei Luther vorkommt, der Georges Fortschritt wohl vorausgeahnt haben mochte. Jedenfalls öffnet sich hier eine dichterisch begründete Methode, um so abscheulichen Fremdworten wie irisieren, fluoreszieren, opalisieren und ähnlichem Gelichter den Garaus zu machen.
Noch wichtiger erscheint mir die Sprachbereicherung durch Beschränkung, die durch Armut emporgezauberte Fülle. Daß die Artikel »der, die, das« oft nur einen Ballast darstellen, haben wir oft genug empfunden, ohne den Wagemut aufzubringen, diese störenden Entbehrlichkeiten abzuwerfen. Und doch bedarf es hierzu nur eines kurzen Entschlusses:
— — — — — —
Pfad noch läuft vom tor wo du
Standest ohne umzuschaun
Dann ins tal hinunterbogst.
Bei der kehr warf nochmals auf
Mond dein bleiches angesicht ..
Doch es war zu spät zum ruf.
Dichter zeigt uns Weg. Artikel verliert Berechtigung. Zeitgenosse nimmt sich vor, Beispiel zu folgen. Wer Zweck will, muß Mittel wollen. Im Anfang war Wort; aber Wort, wenn entbehrlich, sie sollen nicht lassen stahn. Buchstabe tötet.
Aber Geist macht lebendig. Und man müßte schon in rettungsloser Erstarrung liegen, um nicht wachgerüttelt zu werden von Ausdrucksgewalten wie:
Was machst du daß zu höherem gerase
Uns immer fernres fremdres wehe umblase?
Wenn kaum wir eine weil in stille flacken
Treibt uns ein neuer mund zu lohen zacken.
Hier endlich öffnet sich der Mund unbegrenzter Ausdrucksmöglichkeit, und wenn er uns auch nicht wie angesagt tausend neue Namen liefert, so treibt er uns doch zu jenen lohen Zacken, zu jenen Feuergipfeln, auf denen wir das Geheimnis der seligen Sprachschönheit vermuten. Denn es besteht kein Zweifel: was uns Richard Wagner als den Brünhildenfels mit der wabernden Lohe vorgestellt hat, das ist hier in einem gesteigerten Feuerzauber zu lohen Zacken geworden. Zu ihnen wollen wir aufstreben, nachdem wir lange genug in Stille geflackt haben, ohne uns auf das im Sprachsinne so wichtige höhere Gerase zu besinnen. Nur ein einziger Ausdruck stört uns in dieser stürmischen Ode: das »Umblasen«. Wenn man nämlich durch jenes fernere Wehn einfach umgeblasen wird, so hilft das sublimste Wollen nichts, und man gelangt ebensowenig zu den lohen Zacken, als wenn man im Stillen immer weiterflackte.
Tatsächlich aber tritt der Moment des Umgeblasenwerdens ein; an einer windscharfen Ecke nämlich, wo der Ausdruck so orkanartig auftritt, daß er alle unsre Begriffe von Anklang und Reim entzweiknickt:
Verschollen des traumes
Des gottes herabkunft!
Nun waltet des raumes
Ein ruf aus dem abgrund .
Tobt hier ein Verhängnis oder scherzt ein neckischer Zufall mit Gleichheiten der Vokale? Die nächsten Strophen müssen die Aufklärung bringen:
Verschwunden das sehnen:
Verheerender glutschwall
Schon schloß über jenen
Der stärkere flutprall .
Nun liegt die Absicht klar am Tage, denn glutschwall reimt sich auf flutprall beinahe wie Zufall auf Fußbank. Die alte, starre Reimfront wird elastisch, zahllose ungeahnte Ausdrucksmöglichkeiten öffnen sich, der Reim als Mittelglied zwischen Sprache und Symphonie wird aus den Fesseln uralter denkträger Gewohnheit erlöst:
Der oft sich erneunde
Nicht sei mehr der schwur laut!
Ich reiche euch freunde
Den mund hin zum urlaub .
Schwur laut, Urlaub, Flurraum, Epikurschmaus, Uhrraub, Skulpturhaupt, Torturgraus – wer hätte gedacht, daß sich das alles einmal reimen, daß der Dichter, statt nach Reimen zu suchen, von Reimhorden überfallen werden könnte!
Die hände die mienen
Erflehn von dir ruh nun
Ich frieden vor ihnen . . .
Und wach bleibst du nur .
Damit schließt diese Dichtung, die an der Weltenwende wie ein Leuchtturm seinen Scheinwurf in ein Zukunftsparadies der Sprache spielen läßt. Was ist, was war der Reim? Ludwig Fulda hat ihn einst als den Standesbeamten der Begriffe definiert, »indem er ein Wortpaar zusammengibt, das sich schon lange heimlich geliebt.« Aber erst jetzt werden uns die Augen geöffnet über die Ausmessungen dieser Wortliebe. Alles liebt sich! Denn bei den Vokalen werden wir doch nicht stehen bleiben wollen? Auch die Konsonanten melden ihre heimliche Neigung an und streben zum Standesbeamten, der sie zusammengibt.
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