Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Ihm würde der Unsinn genau so ungeheuerlich vorkommen, wie uns der spielerische Versuch grotesk und lächerlich erscheint, den Dichter Racine »Wurzel« und »Torquato Tasso« einen »verdrehten Dackl« zu nennen.
Nicht immer waren das Spielereien in drolliger Absicht. Ich brauche nur an die Latinisierung und Graecisierung zu erinnern, die hervorragende Männer an sich selbst ausführten zum Zwecke innigeren Anschlusses an die Gelehrtenwelt. Mancher Herr Müller trat als Mylius, mancher Schneider als Sartorius auf, aus Schultze wurde Scultetus, Reuchlin nannte sich Kapnion, der Reformator Heußgen (Hausschein): Ökolampadius, und Melanchthon ist ja bekanntlich die genaue Übersetzung von Schwarze Erde, Schwarzert, wie Luthers Freund ursprünglich hieß. Es soll sich auch der umgekehrte Vorgang mit fehlerhafter Rückübersetzung ereignet haben, so daß aus einem Bürger Klein, der sich zu Parvus umtaufte, in weiterer Geschlechtsfolge eine Familie Barfuß entstammte. So sind vielfache Möglichkeiten gegeben, in Ernst und Scherz, absichtlicher oder zufälliger Verdrehung, aber aus allen zusammen ergibt sich für unseren Zweck das eine: daß zwischen der Übersetzung des Eigennamens und dem des sonstigen Ausdrucks nur ein Unterschied des Grades besteht. Wer mir im Ernst erklärte: Alles ist verdeutschbar, der nähert sich in meinen Augen schon merklich dem Gebiet, auf dem die sprachlichen Scherzblüten gedeihen. Und ich traue es ihm zu, daß er auf einer zukünftigen Riviera-Reise – er sagt Ufer-Reise – nicht wie andere Menschen von Ventimiglia über Menton nach Cannes, sondern von »Zwanzigmeil« über »Kinn« nach »Spazierstöcke« fahren wird, vorausgesetzt natürlich, daß ihm auf seiner Tour von irgendwelchem Herrn Poincaré – Vierschrotfaust – oder von Painlevé – Hebebrot – keine Hindernisse bereitet werden.
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Was ist »völkisch«?
Dem Sinne nach soll es wohl mit national übereinstimmen, in einer verbesserten, streng heimatlich betonten Ausgabe des Wortes. Die Übereinstimmung könnte aber nur dann gewährleistet werden, wenn Volk und Nation Begriffe von gleichem Umfang und gleichem Inhalt wären. Daß dies nicht zutrifft, wird mehrfach in diesem Buche erörtert. Hier möchte ich nur darauf hinweisen, daß Luther, den wir in diesen Dingen als vorbildlich anzuerkennen haben, den Unterschied deutlich wahrnimmt. Er spricht vom Volk und zum Volk als zu einer Gemeinde; wo er aber die Besonderheit dieses Volkes hervorheben will, wird es bei ihm zur Nation. Wo er von dem Urteil der Fremdvölker über unsre Volksgenossen spricht, werden ihm die Deutschen zur Nation; und er wendet sich an den christlichen Adel deutscher Nation, nicht des deutschen Volkes.
Definiere man aber, wie man wolle, eins ist sicher: das Wort Nation hat das Adjektiv national unmittelbar und willig hergegeben, während sich »Volk« für diesen Zweck spröder verhielt. Die älteren Wörterbücher verzeichnen: volklich, volkhaft, völkerschaftlich, volksmäßig, und es läßt sich nicht leugnen, daß diese Ausdrücke dem national nur recht mangelhaft entsprechen; abgesehen von dem papierenen Beigeschmack, der einigen von ihnen anhaftet.
Das Wort »völkisch« ist noch nicht hoch bei Jahren. Es kam auf im Zusammenhange mit gewissen Bewegungen von alldeutscher, nationalistischer Eigenart, und die Begier, mit der es aufgenommen wurde, zeigt jedenfalls, daß es einem starken Bedürfnis der betreffenden Kreise entgegenkam. Kein Zweifel, daß es sich dort vollkommen durchgesetzt hat und ein unentbehrliches Sprachwerkzeug geworden ist.
Rein sprachbildnerisch genommen gehörte es nicht zu den glücklichsten Formungen der Neuzeit. Als es eben geboren war, klang es manchem so ähnlich, als hätte man versucht, das Wort Wolke für den adjektivischen Dienst einzurichten. Man könnte ja auch z. B. den Regen und das Gewitter als »wölkische« Erscheinungen bezeichnen. Der Unterschied liegt im Erfolg; »wölkisch« hätte keine Aussicht auf Annahme, völkisch hat sich behauptet und besitzt Geltung.
Da dieses Buch sich lediglich mit der Sprache und durchaus nicht mit der Politik beschäftigt, so ginge uns die politische Bedeutung des Wortes eigentlich gar nichts an. Wenn es nur möglich wäre, die beiden Bedeutungen so zu trennen, daß wir für unseren Zweck das rein-sprachliche reinlich abzusondern vermöchten. Das ist aber, wie leicht zu sehen, undenkbar. Denn das Wort hat in jedem Betracht, auch im Sinne der durchaus nur
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